Die Zeit die mir fehlt, ist das Geld, was ich krieg


Welche Perspektiven bietet uns die Automatisierung?

Vor der Industrialisierung war die Arbeitszeit 1 eines Großteils der Bevölkerung abhängig von Jahreszeiten, Wetter oder Auftragslage. Insbesondere für die Bevölkerung, die in der Landwirtschaft tätig war, waren Arbeitszeiten im Sommer und während der Erntezeit länger und im Winter kürzer, wenn überhaupt vorhanden. Mit der Industrialisierung änderte sich diese Art der Arbeitsorganisation. Die von Wetter und Tageszeit unabhängigen Maschinen in Fabriken sollten zur Maximierung des Profits möglichst dauerhaft betrieben werden. Die zunehmende Verarmung der Landbevölkerung und die daraus folgende Landflucht mit starkem Bevölkerungsanstieg in den Städten führten dazu, dass Arbeitskraft (in Form von Menschen) problemlos verfügbar und vor allem günstig war. Gesetze zum Schutz von Arbeiter*innen oder Arbeiter*innenrechte gab es noch nicht. Der Ausbeutung der Arbeiter*innen in den Fabriken stand also kaum etwas im Wege: Arbeiter*innen mussten unter widrigsten Bedingungen oft 16-Stunden-Schichten oder mehr arbeiten und konnten trotzdem gerade so überleben.

Wieviel müssen wir arbeiten?

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts forderte der walisische Frühsozialist Robert Owen erstmals den 8-Stunden-Tag: „8 Stunden arbeiten, 8 Stunden schlafen, 8 Stunden Freizeit und Erholung“. Im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erkämpften Gewerkschaften, Arbeiter*innenorganisationen, sozialistische und sozialdemokratische Parteien in Europa und Nordamerika für Arbeiter*innen diverse Rechte, darunter als zentrale Forderung auch den 8-Stunden-Tag, der mittlerweile in den meisten westlichen Ländern gesetzlich geregelt ist.

Neben dem 8-Stunden-Tag gelten heute rund 40 Stunden Wochenarbeitszeit als „Normalarbeitszeit“ oder „Vollzeit“. Die gesetzliche Höchstgrenze liegt bei 48 Wochenstunden. Je nach Tarifvertrag unterscheidet sich die Wochenarbeitszeit zwischen den Branchen. Im öffentlichen Dienst gelten z.B. 39,5 Stunden. In einigen Branchen (etwa Metallindustrie) wurde auch bereits die 35-Stunden-Woche erkämpft. Damit sind zwar zentrale Forderungen des 19. und 20. Jahrhunderts durch Tarifverträge geregelt und scheinen auch zumindest in ihrer grundsätzlichen Tendenz unumstößlich, wurden jedoch auch nicht grundlegend erneuert. Im Gegenteil: In einigen Branchen ist die Wochenarbeitszeit seit den 90er Jahren sogar weiter gestiegen. Dabei haben sich die Arbeitsbedingungen seit den 1920er Jahren grundlegend geändert. Frühe Sozialist*innen und Anarchist*innen haben häufig eine goldenen Zukunft prophezeit, in der die Automatisierung der Arbeit soweit fortgeschritten sein würde, dass Menschen nur noch wenige Stunden am Tag arbeiten müssten. Nun ist Arbeit zwar weitgehend automatisiert worden, die Arbeitszeitverkürzung lässt aber auf sich warten. Die antikapitalistische Gruppe krisis 2geht in ihrer Analyse davon aus, dass es genug Arbeit für alle gebe, diese nur derart unangemessen bezahlt werde, dass wenige Leute viel zu viel arbeiten müssen. Zusätzlich bleiben dadurch immer auch Menschen erwerbslos, was sie im Kapitalismus ihrer Lebensgrundlage beraubt. Die Antwort der Politik und auch die Forderung der Gewerkschaften darauf ist jedoch seit Jahren: mehr Arbeitsplätze schaffen.

Auch die feministische Soziologin Frigga Haug fordert eine Verkürzung der Erwerbsarbeit auf (im Schnitt) 4 Stunden am Tag (also eine 20-Stunden-Woche). Das geht daraus hervor, dass sie 8 Stunden Schlaf annimmt und 16 Stunden Wachzeit, die sich dann eben gleichberechtigt aufteilen in Erwerbsarbeit, Care- und Reproduktionsarbeit 3, Selbstbildung und kulturelle Tätigkeit und politisch-soziales Engagement. Sie versteht die Lohnarbeitszeitreduzierung auch als feministischen Kampf. Wenn kein Druck zur Vollzeitarbeit mehr besteht, kann auch Reproduktionsarbeit, also Haushalt, Erziehung und Pflege, besser gemeinschaftlich aufgeteilt werden. Dadurch fördert es auch die Autonomie des Elternteils, das bisher v.a. Reproduktionsarbeit geleistet hat – in der Regel also Frauen.

Aktuelle Kämpfe

Aktuelle Kämpfe in Bezug auf die Länge der Arbeitszeit werden von gewerkschaftlicher Seite v.a. von der IG Metall geführt. Sie forderte in der letzten Tarifrunde die Möglichkeit, in den Tarifvertrag mit aufzunehmen, dass von Vollzeit-Job auf Teilzeit-Job (28-Stunden-Woche) reduziert werden kann und setzte diese durch. Es soll jedoch auch einen Anspruch geben, wieder auf Vollzeit zurückkehren zu können. Bisher gibt es nur die Möglichkeit zu reduzieren, ohne Recht auf Wiederaufstockung. Die IG Metall verspricht sich davon v.a. einen Vorteil für Menschen, die Kinder erziehen oder Pflegearbeit leisten müssen. Genau diese Forderung wollte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles im Frühling 2017 auch in ein Gesetz gießen, war damals aber am Widerstand von FDP und CDU/CSU gescheitert. Im Koalitionsvertrag zu einer möglichen Großen Koalition aus SPD und CDU (Februar 2018) steht der „Anspruch in Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern, nach Teilzeitphase wieder zur früheren Arbeitszeitzurückzukehren“ aber wieder drin, offensichtlich konnten sich CDU/CSU und SPD einigen.

Arbeitszeitflexibilisierung

Wenn Arbeitgeber*innen von der Flexibilisierung der Arbeitskraft sprechen, ist meistens Vorsicht geboten: Sie wollen die maximal erlaubte Arbeitszeit pro Tag erhöhen, eine flexiblere Gestaltung von Pausen und Ruhezeiten und mehr Möglichkeiten, nicht nur an einem festen Arbeitsplatz zu arbeiten. Dies soll neueren gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen und auf moderne Lebensstile eingehen. Dabei soll zwar weiterhin ein wöchentliches Maximum an Arbeitsstunden gelten, Kritiker*innen befürchten aber trotzdem, dass dadurch ungesunde Arbeitsrhythmen entstehen können und die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen, sodass sich durch Arbeit bedingter Stress auch negativ auf die Freizeit auswirkt.

Arbeitszeitverkürzung jetzt!

Fakt ist aber: Der klassische Vollzeit-40-Stunden-Job ist ein Auslaufmodell, wenn auch eines, das sich wacker hält. Welche Änderungen aber kommen den Arbeitnehmer*innen oder lohnabhängig Beschäftigten wirklich zugute? Es gibt mehr als einen guten Grund, die Lohnarbeitszeit weiter zu beschränken und eine 30- oder sogar 20-Stunden-Woche zu fordern, selbstverständlich ohne Kürzung des Lohns. Daran anknüpfend muss auch der gesetzliche Mindestlohn der darauf ausgelegt ist, 40 Stunden zu arbeiten, weiter erhöht werden, damit auch Berufseinsteiger*innen und Jobber*innen davon profitieren [Wenn bei einem gesetzl. Mindestlohn von 8,84€/h die Wochenarbeitszeit von 40h auf 20h reduziert würde, müsste der Mindestlohn im selben Maße steigen wie die Arbeitszeit sinkt. Halbiert sich zum Beispiel die Arbeitszeit, müsste der Mindestlohn verdoppelt werden.], und nicht nur Angestellte in großen Betrieben mit hart erkämpften Tarifverträgen. Vom Mindestlohn findet sich im Sondierungspapier der Großen Koalition allerdings kein Wort. Neben den Kämpfen in den Bereichen, die als Lohnarbeit anerkannt sind, müssen wir unsere Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung auch in den Bereichen (bisher) unbezahlter Arbeit führen, also den Bereichen der Care-Arbeit. Eine weitere Möglichkeit der Arbeitsstundenreduzierung bei gleichzeitiger Absicherung ist ein bedingungsloses Grundeinkommen – das allerdings mit Recht kritisch diskutiert wird: Es scheint nicht sonderlich gerecht zu sein, wenn eine Milliardärin das gleiche Grundeinkommen beziehen würde, wie eine Reinigungskraft. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann im schlechtesten Fall außerdem einem massiven Abbau des Sozialstaats Vorschub leisten.

Jan Frankenberger, Bezirk Hessen-Nord und Martin Adrians, Bezirk Niederrhein

  1. Mit „Arbeitszeit“ ist hier zwar diejenige Zeit gemeint, die Menschen aufbringen mussten, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das moderne Arbeitsverhältnis von bei einem*r Chef*in lohnabhängig Beschäftigten mit festgelegter Arbeitszeit und dadurch einer Trennung in „Arbeitszeit“ und sogenannte Freizeit gab es jedoch nicht.
  2. „krisis – Kritik der Warengesellschaft“ ist ein Zusammenschluss von theoretisch arbeitenden Einzelpersonen und Gruppen, die sich der Neuformulierung einer radikalen Kapitalismuskritik jenseits des traditionellen Marxismus verschrieben haben.
  3. Arbeit des Sorgens und Kümmerns – unbezahlte (Haus-)arbeit, die sich an den Bedürfnissen anderer orientiert