Interview mit der SJ-Gruppe die Grünen Schwäne aus Chemnitz

Die drei SJ’ler*innen sind 15 Jahre alt und in der Chemnitz SJ-Gruppe Grüne Schwäne. Sie alle sind in Chemnitz aufgewachsen und engagieren sich sowohl bei den Falken als auch in anderen Strukturen gegen Nazis.

#wirsindmehr-Konzert am 3. September 2019 in Chemnitz. Foto: Jana Herrmann

In der Nacht vom 29. auf den 30.08.2018 stirbt in Chemnitz Daniel an den Folgen eines Messerstichs. Verdächtigt wurden ein Syrer und ein Iraker. In der Folge kam es zu rechten Demonstrationen und Hetzjagden auf Migrant*innen, People of Colour und Linke. Wie habt ihr diese Ereignisse wahrgenommen und was hat sich für euch seitdem verändert?

Helen: Als das Ganze angefangen hat, war ich auf einer Demo und habe gesehen, wie hinter mir welche verkloppt wurden und seitdem passe ich da mehr auf. Klar, auch vorher war mir bewusst, es gibt Leute, die in die Stadt gehen, um Leute zu verprügeln, nur, weil sie anderer Meinung sind oder weil sie eine andere Herkunft haben. Aber seitdem ich das so mitbekommen habe, passe ich da schon mehr auf, und versuche mich schon so anzuziehen, dass man nicht direkt sieht, auf welcher Seite ich stehe, sondern relativ neutral aussehe, damit mich keiner angreifen kann oder so.

Theo: Es ist auch bei mir so, vor allem, wenn man jetzt abends in Chemnitz unterwegs ist und dass man schon schauen muss, welchen Leuten laufe ich dort über den Weg.

Anna: Ich persönlich muss sagen, dass ich jetzt nicht wie die anderen so direkt darauf achte, wer unterwegs ist. Prinzipiell finde ich die Situation aber auch beängstigend, wenn man sieht, welche Parteien jetzt salonfähig sind.

Wenn du sagst, die AfD wird salonfähig und deren Debatten werden alltagstauglich, spiegelt sich das auch in eurem Alltag wieder?

A: Auf jeden Fall. Jetzt vor allem in der Schule habe ich das bemerkt. Zum Beispiel hat eine Lehrerin bei uns gesagt, dass sie nicht hingucken kann, wenn sich Schwule küssen, also wirklich homophobe Äußerungen, die einfach so nebenbei im Klassenraum gefallen sind und niemanden hat es gestört. Und das ist leider öfters der Fall.

T: Mittlerweile ist es halt echt so, dass wir Leute auf der Schule haben, die zum Beispiel auf Demos von Pro Chemnitz gehen und sich auch klar zu Gewalt gegen Ausländer und Linke bekennen. Das wird immer krasser.

Gab es schon immer ein Problem mit der rechten Szene oder ist das was neues?

T: Ja, ich denke, es ist schon immer in Ostdeutschland ein größeres Problem als in Westdeutschland. Ich weiß jetzt nicht unbedingt Gründe, aber es hat, denke ich, auch was mit dem Mauerfall zu tun. Ich denke auch, dass die nur auf so einen Moment wie einen Mord gewartet haben, den man instrumentalisieren kann und dann halt auch einfach sehr gut organisiert sind, also sehr schnell mobilisieren.

A: Ich persönlich denke, dass es zwar schon immer ein Problem war, aber nicht wirklich an die Oberfläche treten konnte. Dadurch, dass die AfD so salonfähig geworden ist, fühlen sich Leute bestärkt, ihre Meinung zu vertreten. Ich denke auch, dass es nicht nur Chemnitzer waren, sondern wirklich was Organisiertes aus ganz Sachsen, vielleicht sogar aus ganz Deutschland. Es stellen sich immer noch wirklich fast 1.000 Leute freitags dorthin und es gibt fast keine Gegendemonstranten, weil es eigentlich schon uninteressant wird.

Beim #wirsindmehr-Konzert sind über 60.000 Leute nach Chemnitz gekommen. Wie habt ihr diese ganze mediale Aufmerksamkeit von linker Zivilgesellschaft wahrgenommen, die dann unbedingt in Chemnitz ein Zeichen setzen wollten gegen Nazis?

T: Ich fand’s prinzipiell cool, dass dann nach diesem Konzert in Chemnitz wirklich viele Leute da waren, um quasi ein Zeichen zu setzen. Aber was ich auch mitbekommen habe, war, dass es auch viele Leute gab, denen der Sinn dieses Konzertes nicht wirklich klar war: Also dass man diese Unterstützung die ganze Zeit über braucht und nicht nur zu Konzerten oder großen Ereignissen.

Wie schätzt ihr denn diese ganzen Aktionen gegen Rechts ein? Z.B. Herz statt Hetze, #wirsindmehr, Kunst für Toleranz, …

H: Ich find’s auf jeden Fall gut, dass man dem Ganzen die Stirn bietet und auch was dagegen macht. Chemnitz ist sowieso schon als rechte Stadt abgestempelt, und dann ist es wichtig, dass man zeigt: Ja, hier gibt’s noch Leute, die keine Nazis sind, die nicht rechts sind, sondern wir sind dagegen und machen was dagegen.

T: Also, ich denke, dass man zum Beispiel mit der “Herz statt Hetze”-Demo auf jeden Fall was erreicht hat. Da gab’s zwei große Sitzblockaden, womit man verhindert hat, dass die AfD und Pro Chemnitz durch Chemnitz laufen können und ihre Demo aufgelöst werden musste.

#wirsindmehr-Konzert am 3. September 2019 in Chemnitz. Foto: Jana Herrmann

#wirsindmehr. Stimmt das eigentlich? Wart ihrnurbei dieser großen Aktion mehr oder seid ihr auch im Alltag mehr? Kann mensch Nazis in Chemnitz effektiv die Stirn bieten?

T: Also natürlich sind wir viel, viel mehr, aber leider nicht in Sachsen… (Gelächter) Es wäre schon möglich, dass wir mehr sind. Es ist nicht die große Mehrheit, aber bei Chemnitz ist es auch so, dass es immer viele Leute (Rechte, Anm. d. Red.) gibt, die von außen anreisen, also Thüringen, Sachsen-Anhalt. Das sind nicht wirklich komplett Chemnitzer. Ich kenne viele Leute, die prinzipiell auch gegen das sind, was in Chemnitz passiert. Aber sie unterstützen auch nicht die, die sie als „Gutmenschen“ sehen. Es gibt viele darunter, die für Obergrenzen sind.

H: Ich denke, es gibt viele, die einfach Angst haben, weil man so viel hört und durch die Medien ist es auch alles so übelst präsent.

Trotzdem gibt es ja auf jeden Fall Nazis in Chemnitz. Was glaubt ihr denn, würde dagegen helfen? Und was würdet ihr euch wünschen?

A: Ich finde, Bildung und Aufklärung sind auch für viel verantwortlich und da kann man auch Dinge ändern.

T: Dass so bestimmte Strukturen einfach besser miteinander vernetzt sind und man halt auch diese schnelle Mobilisierung deutschlandweit hat. Ich würd’s halt auch ganz cool finden, wenn man einfach schon in der Grundschule bzw. in der Oberschule dann anfängt, entweder Workshops anzubieten oder halt einfach im Geschichtsunterricht mal näher auf solche Themen eingeht. Man redet natürlich über die Zeiten des Nationalsozialismus, aber dort, wird einem nicht so wirklich rübergebracht, dass es auch aktuell immer noch ein Problem ist.

Oft wird ja von Chemnitz und Sachsen sehr, sehr negativ geredet, auch oft abfällig: Sucksen, Dunkeldeutschland, sächsische Verhältnisse, da leben nur Nazis, … Wie nehmt ihr das denn so wahr und was haltet ihr davon?

T: Es ist halt schon irgendwie so, in Ostdeutschland bzw. in Sachsen sind die Verhältnisse anders als zum Beispiel in NRW. Aber trotzdem gibt’s ja auch in den anderen Städten Nazis, die, denke ich, zu gleichen Taten aufrufen würden, aber die haben einfach nicht so diese Anlässe und wissen einfach, da gibt es mehr Leute, die ihnen die Stirn bieten.

Das Interviewführten Jan Frankenberger (KV Halle/Saale) und Oliver Pohl (BZ Hessen-Nord)