“Aber zweimal im Leben wollen wir die Arbeit nicht!”

In Erfurt hat sich unter Beteiligung von Falken ein linkes Hausprojekt gegründet.Gemeinsam haben sie ein Haus gekauft und renoviert. Über Idee, Umsetzung und das Zusammenwohnen hat die AJ mit ihnen gesprochen. 

Wie kam es zum Hausprojekt? Wie hat sich die Gruppe zusammengefunden, die jetzt im Haus wohnt? Was war eure Motivation, das Hausprojekt umzusetzen?

Es gab einen Kern von 4 Leuten – wir hatten zu einem offenen Treffen für Interessierte eingeladen. Aus diesem Treffen ergab sich dann die jetzige Gruppe des Hausprojekts. In der Einladungsmail formulierten wir auch schon unsere Vorstellungen: Wir wollten mit Genoss*innen zusammenziehen, die linkspolitisch organisiert sind und dies auch bleiben wollen. Gleichzeitig wollten wir kein Hausprojekt, in dem die Konsumentscheidungen unserer Mitbewohner*in im Plenum zum Politikum erhoben werden (frei nach dem Motto – erst ändere ich meine Mitbewohner*innen, und dann die ganze Welt). 

Es gab mehrere Gründe für ein Hausprojekt: Wir fanden es schön, zusammen zu wohnen und in einem Haus mit Genoss*innen zu wohnen. Wir wollten uns dem Mietmarkt entziehen (kein Leben lang Miete zahlen und damit Andere reich machen). Wir wollten etwas mehr Sicherheit für die Zukunft (keine ständige Angst vor Mieterhöhungen). Großteils hatten wir kein Geld für eigenes Wohneigentum oder aber keine Lust, alleine für Eigentum verantwortlich zu sein.

Was waren die bürokratischen Hürden?

Es gibt viel bürokratischen Aufwand (Welche Rechtsform wähle ich? Wie stelle einen Kreditantrag? Wie erstelle ich einen Finanzplan?) – diesen gäbe es aber auch, wenn man als Einzelperson eine Wohnung kaufen würde und man kann arbeitsteilig vorgehen. Wir hatten viel Unterstützung von anderen Hausprojekten, die uns ihre Unterlagen zur Verfügung stellten. Eine dauerhafte bürokratische Hürde ist, dass es aus unserer Perspektive keine gute Rechtsform für gemeinsamen Besitz gibt, die nicht auf Gewinn gerichtet ist und gleichzeitig nicht gemeinnützig ist.

Sonst ist vor allem das Finanzielle die größte Hürde. Es braucht Eigenkapital, das heißt es braucht auch Leute mit Vermögen in der Verwandtschaft oder im Umfeld, um Direktkredite klarzumachen. Schließlich kriegt man als Verein auch schlechtere Kreditkonditionen als als Privatperson. 

Wie lange hat es von der Idee bis zum Beginn der Umsetzung gedauert und wie lange die Renovierung bis zum Einzug?

Die Idee gibt es schon sehr lange – eigentlich seitdem wir wussten, dass wir in Erfurt bleiben wollen. Ein erstes Treffen fand Ende 2016 statt, die Vereinsgründung und die Beteiligung an einer Versteigerung erfolgte innerhalb von ein paar Wochen. Nachdem wir das gewünschte Haus nicht bekommen hatten, vergingen ein paar Monate mit der Recherche nach einer passenden Immobilie. Im April 2017 gaben wir dann ein Angebot bei einer weiteren Versteigerung ab und erhielten den Zuschlag. Bis Anfang September planten wir die Raumaufteilung und bauten dann von September 2017 bis Dezember 2018 um. Die Einzüge erfolgten von September bis Dezember 2018. Jetzt sind wir zu ca. 95% fertig, wohnen alle im Haus und gerade ist die Luft raus für weitere Arbeiten. 

Wie gut hat die Arbeitsteilung bei der Renovierung geklappt?

Alles in allem hat es sehr gut geklappt und wir hatten eine relativ hohe Verbindlichkeit. Aber natürlich haben Leute unterschiedlich viel gemacht, unterschiedlich intensiv zu unterschiedlichen Zeiten gearbeitet, unterschiedliche Ressourcen gehabt (Teilzeit oder Vollzeit, Ausbildung, Uni oder Arbeitslos usw.) – und es gab auch Stunk deswegen. Man kann auch feststellen, dass die meisten von uns bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen oder sogar darüber hinaus gegangen sind.

Es war eine Riesenaufgabe, für die weder unsere Zeit, noch unser Wissen und Können gereicht haben. 1-2 Personen hatten handwerkliches Wissen und Erfahrungen mit Hausprojekten, das war sehr wertvoll. Es gemeinsam anzugehen und sich zusammen verantwortlich zu fühlen, hat aber dazu geführt, dass wir diese Mammutaufgabe geschafft haben. Es war trotzdem der Horror. Jetzt sind sehr froh, dass es vorbei ist und wir hier wohnen können.

Wie ist das Verhältnis von Privatsphäre und Gemeinschaft?

Bei uns gibt es 5 Wohneinheiten, die eigentlich nicht anders als normale Einzelwohnungen oder WGs funktionieren. Klar, man kennt sich schon lange und versteht die Wohnung nicht als Durchgangsstation zwischen Kindheit und Kleinfamilie, sondern als Zuhause. Aber ökonomisch sind wir nicht anders organisiert (keine gemeinsame Ökonomie). Es war von Anfang an unsere Absicht, dass immer alles in der kleinstmöglichen Einheit entschieden wird. Nur das, was alle betrifft, soll auch gemeinsam besprochen werden. Das hat Vor- und Nachteile. Man ist unabhängiger gegenüber seinen Mitbewohner*innen, hat aber auch die Nachteile (kein Gemeinschaftseinkommen). Auch unsere ursprüngliche Vorstellung eines “unpolitischen Hausprojekts mit politischen Bewohner*innen” hat sich als nur begrenzt möglich herausgestellt.

Schließlich glauben wir, dass man Veränderungen gegenüber offen sein muss. Wir sind Mitte 20 bis Mitte 30 – vielleicht wollen Menschen irgendwann Kinder oder die Beziehungskonstellationen ändern sich, die Job-Perspektive ändert sich und Menschen wollen ein- oder ausziehen. Unser Haus bietet begrenzt Möglichkeiten für große Veränderungen, aber wir haben uns dieses Projekt gemeinsam geschaffen und zumindest den Anspruch, uns wechselseitig ein Leben zu ermöglichen, das man frei wählt. 

Wie hoch ist die Miete jetzt schlussendlich geworden? Wie lange müsst ihr abbezahlen?

Wir zahlen 5,50 € kalt plus Nebenkosten und Mitgliedsbeiträge (diese sind nach Selbsteinschätzung gestaffelt). Das ist bereits jetzt günstiger als Neuvermietungen im Viertel mit schlechterem Mietstandard. Wir müssen 27 Jahre lang abbezahlen – nach 10 Jahren endet allerdings die Zinsbindung, dann müssen wir nochmal neu sehen, wie es finanziell aussieht.

Würdet ihr es wieder machen? Was würdet ihr im Nachhinein anders machen?

Wir würden es auf jeden Fall wieder machen. Klar würde man im Nachhinein Dinge anders machen – das Wissen hat uns halt am Anfang gefehlt. Eine noch verbindlichere Organisation der Bauwochenenden und Bauwochen. Noch klarere Absprachen über Budgets/Wohnung. Es gibt halt viel Konfliktpotential. Ständig muss man die eigenen Bedürfnisse und Wünsche an die Finanzlage und an die baulichen Gegebenheiten anpassen und mit den zukünftigen Mitbewohner*innen aushandeln – das alles unter großer körperlicher und psychischer Belastung (kaum freie Wochenenden für über ein Jahr). Es ist schön, dass es geschafft ist. Es ist schön, dass wir uns trotz der Strapazen noch riechen können. Es ist schön, gemeinsam im Hausprojekt zu wohnen. Aber zweimal im Leben wollen wir die Arbeit nicht!

Das Interview führte Jan Schneider für die aj-Redaktion