Die Jungs mit der Maus: Zum strukturellen Ausschluss von Frauen aus dem eSport

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Wer sich eSport als kleines Nischenphänomen vorstellt, liegt falsch: Die Branche soll laut Prognosen im Jahr 2023 144 Mio. Euro umsetzen. Doch auch kleinere, von Events unabhängige eSport-Streams auf der Plattform sind ein wirtschaftlich relevantes Phänomen. Frauen haben in dieser Sparte einen besonders schwierigen Stand. Das Internet bringt in seinen männlich dominierten Ecken sehr hässliche, aber wirkmächtige Mechanismen hervor, mit denen Frauen umgehen müssen. Aber erst einmal ein paar Schritte zurück. Wo behauptet wird, die Hälfte der Spieler*innen seien weiblich1, wird unterschlagen, dass diese Zahl nur dann zutrifft, wenn zwischen Counter-Strike und Candy-Crush keinerlei Unterschied gemacht wird. Eine vom Genre unabhängige Erhebung ist absurd, spielt eben jenes doch eine zentrale Rolle für den Frauenanteil: Konzentrieren wir uns beispielsweise auf MOBA2-Spiele wie Defense of the Ancients, die für den eSport besonders relevant sind, liegt der Frauenanteil gerade einmal bei 10%.

Wo wenige Frauen sind, da sind viele Männer

Es ist erst einmal erklärungsbedürftig, warum Gaming immer noch ein männliches Hobby ist. Sozialisatorisch wird die Technikaffinität bei Jungen eher vermutet und gefördert als bei Mädchen, ergo werden sie früher mit Technik in Berührung gebracht – sie entwickeln deshalb eher eine Trial-and-Error-Mentalität, sind also experimentierfreudiger und ausdauernder im technischen Bereich. Insofern ist es kaum überraschend, dass auch die Games-Industrie als Ort der Entwicklung der Spiele von Männern dominiert wird, was sich in den Spielen niederschlägt. Bezüglich der Handlung werden Frauen marginalisiert, in der Darstellung objektifiziert. Bei Rollenspielen überwiegen männliche spielbare Charaktere, in Fantasy-Games mit Storytelling sind Frauen oft die zu rettende Prinzessin oder Belohnung für den Spieler, wenn eine Mission erfolgreich war. Spielbare Action-Heldinnen werden häufig stark sexualisiert dargestellt – es dürfte kein Zufall sein, dass z.B. Lara Croft immer in einer Verfolgerperspektive spielbar ist, also immer ganzkörperlich sichtbar für die Spielenden. So weit, so problematisch, aber was hat das mit den realen Spielerinnen zu tun? Kurz gesagt: Diese Objektifizierung wird auch auf die Gamerinnen übertragen. Wenn bei Chip ein ‚Artikel‘ mit dem Titel „Die heißesten Twitch-Babes in Action“ (sic!) publiziert wird, ist das der letzte schlagende Beweis dafür, dass Gaming ein Bereich ist, der auch über die Ebene der Handlung und Darstellung hinaus von Männern auf Männer und deren Bedürfnisse zugeschnitten ist.  

Gaming als Ort des Wettbewerbs

Eine von Männern häufig angegebene Motivation zum Gaming ist der Aspekt des Wettbewerbs. Im Online-Gaming ist er besonders präsent und auch quantifizierbar; seien es digitale Statistiken, die Siege und Niederlagen zusammenfassen oder die unfassbare Menge an Geld, das im eSport als Preisgeld umgesetzt wird. Pierre Bourdieu begründet in seinen Überlegungen zum sogenannten “Männlichen Habitus” den Hang der Männer zum Wettbewerb. Für den französischen Soziologen vollzieht sich in diesem spezifischen Habitus3 die Einlösung der permanenten gesellschaftlichen Anforderung, die eigene Männlichkeit immer und immer wieder zu bestätigen. Dies geschieht im Wettbewerb quasi permanent und in wieder und wieder wechselnden Kontexten: In Form der sogenannten “Ernsten Spiele” treten sich die Männer gegenüber. Aktiv teilnehmende Frauen sind hier unerwünscht, geduldet werden sie lediglich als „schmeichelnde Spiegel“, die dem Mann ein vergrößertes Bild seiner selbst zurückwerfen. Ihre einzig legitime Aufgabe ist es demnach, dem Mann seine Großartigkeit zu spiegeln bzw. ihm das Gefühl zu geben, eben einfach großartig zu sein. Insofern scheint es kaum überraschend, das weibliche Spielerinnen oder Streamerinnen nicht mit offenen Armen empfangen werden, wenn sie Teil des Wettbewerbs im Gaming werden. Dazu kommt die von Raewyn Connell soziologisch gefasste “Hegemoniale Männlichkeit”, nach welcher als Ergebnis einer Binnendifferenzierung gewisse Männlichkeiten bevorzugt und die, die sie erfüllen (können), vornehmlich mit Status und Gütern ausgestattet werden. Dass diese Binnendifferenzierung im Wettbewerb ausgehandelt wird, zeigt, wie konstitutiv eben jener als Mechanismus der männlichen Vergesellschaftung ist. Und der Wettbewerb findet fortlaufend statt: In den Herrenclubs, Vorstandsetagen und anderen angeblich so bedrohten männlichen Refugien – auch das Online-Game kann wohl dazu gezählt werden. Bourdieus und Connells Überlegungen folgend ist es für Männer essentiell, dass die Orte, in denen männlicher Wettbewerb stattfindet, eben männliche Wettbewerbsräume bleiben. Dies gilt für das Gaming ebenso wie für DAX-Vorstände. Die Männer sind Gegner im Wettbewerb und gleichzeitig Komplizen im (strukturellen) Ausschluss von Frauen aus diesem. 

Prostitutionsvorwurf und positiver Sexismus als Ausschlussmechanismen 

Wenn also Frauen in diesen Wettbewerbsraum eindringen, ist das erst einmal ein Problem. Dem wird unterschiedlich begegnet, vornehmlich ebenfalls mit den auf der Ebene des Spiels präsenten Mechanismen der Marginalisierung und Objektifizierung: Die Leistung von Gamerinnen wird geschmälert und gerade am Anfang ihrer Karriere als eSportlerin oder Streamerin schlägt ihnen Hass entgegen oder ihnen begegnet bei guten Leistungen der unsägliche “Für eine Frau bist du ja ganz gut”-Duktus. Omnipräsent in reddit-Foren, vor allem in Diskussionen darüber, wer gerade von der Branche gepusht, zu Veranstaltungen eingeladen wird oder wessen Streams gerade viele Zuschauer*innen generieren, ist der Vorwurf, die Präsenz würde ausschließlich über das gezielte Einsetzen der Weiblichkeit erreicht – dass einige Frauen dies forcieren ist vermutlich sogar richtig, aber eben aus feministischer Sicht irrelevant. Dieser Prostitutionsvorwurf ist ein probates Mittel für Männer, die Leistung von Frauen zu diskreditieren und sie als Personen abzuwerten. Sicherlich gibt es hier auch Anknüpfungspunkte an den Modus Operandi der sogenannten Incels, deren Hauptvorwurf an Frauen bekanntermaßen ist, dass sie eben alle Schlampen seien. Auch die Reaktion der Plattform Twitch ist höchst fragwürdig und es soll nicht versäumt werden, auch diese Ebene zu problematisieren. In einer Kleidervorschrift verpflichtet Twitch seine Nutzer*innen, bei Live-Streams jegliche Form “sexuell aufreizender Inszenierung” zu vermeiden. Dazu gehört neben völliger Nacktheit das offensichtliche Tragen von Unterwäsche, Reizwäsche und Badeanzügen. Dass Twitchs Umgang darin besteht, Frauen zur Bedeckung aufzufordern, ist symptomatisch für die Probleme der Games-Industrie. Die Objektifizierung, die im Vorwurf der Prostitution gipfelt, stellt Frauen vor eine quasi unlösbare Aufgabe. Diese lässt sich besonders gut am Beispiel von Streamerinnen bei Twitch veranschaulichen. Eine Offenlegung der misogynen Strukturen im Gaming würde vor allem dafür sorgen, dass sie eine erarbeitete Stellung einbüßen, da sie ja auf die (männlichen) Zuschauer und die Unterstützung einschlägiger Zweige der Gaming-Branche angewiesen sind, um sich finanziell zu reproduzieren. Auf die Solidarität weiblicher Kolleginnen ist hierbei selten zu hoffen, da sich diese ebenfalls im Kampf um Zuschauer*innenzahlen befinden. Auch Gamerinnen ohne berufliche Bestrebungen berichten im Kontext des Online-Spielens oft von Aufdringlichkeiten oder verbalen Übergriffigkeiten, zuletzt unter dem Schlagwort toxic gaming oder vor einigen Jahren im Zuge des #gamergate. Ob, und wenn ja, wie lange oder oft man sich diesen Strukturen aussetzen kann und möchte, bleibt dabei natürlich eine individuelle Entscheidung und bestimmt gibt es auch nicht oder weniger toxische Communities. Sicherlich ist es nicht immer erquicklich, sich in diesen Kontexten zu bewegen. Ansätze, wortwörtlich mehr Frauen ins Spiel zu bringen, könnten den männlichen Wettbewerbsraum vielleicht irgendwann brechen und auch Mädchen und Frauen die Chance geben, die Welt des Gamings mitzugestalten – sowohl als Entwicklerinnen, in der Unterhaltungsbranche auf Twitch, im eSport oder einfach nur als Gamerinnen.

Somit stellt sich auch im speziellen Fall des eSports die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und Kapitalismus: Ist es feministisch, wenn Frauen von der Branche als eine große, weitgehend unerschlossene Zielgruppe ernst genommen werden, deren Hemmungen zu spielen durch eine veränderte Machart und Kultur der Spiele und des eSports im Interesse des Profits abgebaut werden sollen?

Mona Schäfer, SV Mainz

  1. Die 50/50-Statistik wird gerade in der pädagogischen Literatur oft bemüht, wenn es um die Einbindung von Gaming in Bildungsprozesse geht
  2. Multiplayer Online Battle Arena ist eine Spielekategorie, in der mindestens zwei Teams in einer begrenzten Arena in Echtzeit gegeneinander antreten
  3. Nach Bourdieu bezeichnet Habitus das gesamte Auftreten einer Person, im Einzelnen also etwa den Lebensstil, die Sprache, die Kleidung und den Geschmack, wobei sich am Habitus einer Person der Rang oder Status einer Person in der Gesellschaft ablesen lässt