Eine Stunde Zuhören? Macht 50 € – Warum uns der Begriff der emotionalen Arbeit nicht weiterbringt

Schon länger höre ich den Begriff ‚Emotionale Arbeit‘ oder Abwandlungen davon von Genossinnen und Freundinnen. Sie verwenden ihn beispielsweise, um Aufgaben zu beschreiben, die sie unausgesprochen in Gruppensituationen übernehmen oder um zu erklären, warum sie ihr Privatleben als auslaugend empfinden. In den USA kursiert der Begriff ‚emotional labor‘ schon länger in Artikeln, Blogeinträgen und Kommentarspalten. Dort wird er verwendet, um eine recht weite Bandbreite an Aufgaben zu beschreiben, die Frauen übernehmen: Rat geben, Trost spenden, zuhören, Andere umsorgen und ihnen Aufmerksamkeit schenken, aber auch Geburtstage im Kopf haben, Putzkräfte auswählen und einstellen oder das Haustier einschläfern lassen. Auch Sex wird in einigen Kommentarspalten unter Emotionale Arbeit gefasst. Die Autorinnen problematisieren, dass Frauen die oben genannte Dinge – in den aufgeführten Beispielen nahezu ausschließlich für Männer – tun, ohne dafür wertgeschätzt zu werden oder Vergleichbares zurückzubekommen. Der Begriff ‚emotional labor‘ soll zunächst dazu dienen, dies wahrnehmbar und verhandelbar zu machen. Einige Autorinnen stellen die zugespitzte Forderung nach Bezahlung für Emotionale Arbeit. Ein Beispiel von der feministischen Webseite ‘The Toast’: „Es mag kontraintuitiv sein, aber es lohnt sich, Emotionale Arbeit als Dienstleistung zu betrachten – eine, die in Reaktion auf konstante Nachfrage angeboten wird. Was auch immer du vom Kapitalismus hältst, wir baden darin, und nach seinen eigenen Regeln sollten wir für eine Arbeit, die stark nachgefragt ist, vergütet werden.“

Ich will nicht leugnen, dass vor allem in vielen Beziehungen zwischen Männern und Frauen ein Ungleichgewicht besteht, in dem Sinne, dass typischerweise die Frau für die Aufrechterhaltung des körperlichen und psychischen Wohlergehens des Gegenübers oder auch der Gruppe oder Familie sorgt. Ich meine aber, dass der Begriff ‚Emotionale Arbeit‘ und die damit verbundene Perspektive nicht die geeigneten Werkzeuge sind, um Beziehungen zu verbessern. Ausklammern will ich an dieser Stelle das, was meiner Meinung nach mit ‚Mental Load‘ besser bezeichnet ist: salopp ausgedrückt das ‚Dinge auf dem Schirm haben‘, also die Geburtstage oder das Einstellen der Putzkräfte (ohnehin nur für einen Bruchteil von Frauen eine relevante Frage).

Kontaktstörung

All jene Handlungen, die unmittelbar zum Führen von Beziehungen gehören, entziehen sich ihrem Wesen nach der Logik von Lohnarbeit. Trösten, zuhören und Sex haben funktionieren nicht wirklich als Austausch (ich gebe eine Stunde Zuhören und bekomme dafür eine zurück, ansonsten kannst du mir auch 50 € geben oder morgen Abendessen kochen) – zumindest nicht, ohne ihr Potential einzubüßen. Ihre Logik ist vielmehr die des Geschenks, das nur freiwillig und mit innerer Beteiligung gegeben werden kann. Kann irgendjemand echte Erleichterung empfinden, wenn er von einer nahestehenden Person getröstet wird, die das Trösten als Arbeit begreift? Vorausgesetzt, dass ich mich auf mein Gegenüber wirklich einlassen möchte, ich neugierig darauf bin, es kennenzulernen, ihm gegenüber Zärtlichkeit empfinde etc. wird das Verhältnis von Geben und Nehmen außerdem nie eindeutig sein. Schenkt die Person, die sich anvertraut oder die, die zuhört? Schenkt die Person, die der anderen einen Schmerz oder eine Verletzung zeigt oder die, die ihn annimmt? Das bedeutet nicht, dass es immer eine Freude ist, oder sein sollte, mit der Traurigkeit oder Ratlosigkeit einer geliebten Person konfrontiert zu sein. Natürlich ist es belastend, es kann weh tun und es kann auch anstrengend sein. Aber Beziehungen wachsen, wenn man sich einander zeigt und das ist am Ende des Tages eine gute Sache.

Wenn wir die Interaktionen, die unter Emotionale Arbeit gefasst werden, so verstehen, weist der Mangel an Sichtbarkeit und Wertschätzung, den viele Frauen feststellen, auf einen viel grundsätzlicheren Mangel an Beziehung und Kontakt hin. Die eigentliche Frage wäre also, warum das so ist und warum so viele Frauen es offenbar als Arbeit empfinden, (Liebes-)Beziehungen zu führen.

Fake it till you feel it

Im 19. Jh. verfestigte sich in Europa die Annahme, es gäbe einen spezifisch weiblichen Geschlechtscharakter. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die der Frau die Reproduktionsarbeit zuweist, wurde unterfüttert indem quasi jeder Aufgabe eine naturgegebene Charaktereigenschaft zugeordnet wurde. Frauen sollen Kinder versorgen? Prima, dann sagen wir doch, sie seien von Natur aus äußerst fürsorglich. Damit einher ging die Erwartung an eine bestimmte (emotionale) Haltung der Frauen ihren Aufgaben gegenüber. Es reichte nicht länger, das Baby zu wickeln, frau musste es als Erfüllung ihrer Natur erleben, das Baby zu wickeln. Auf diese Weise wurden Frauen von ihren echten Gefühlen entfremdet und dazu gedrängt, einen bestimmten, erwarteten Gefühlsausdruck zu zeigen. Einige mögen so weit gegangen sein, bestimmte Gefühle in sich erzeugen zu wollen – um keine Rabenmutter, Bestie, Eiskönigin zu sein.

Wenn man sich – knapp 200 Jahre später – die unzähligen Beiträge zu Emotionaler Arbeit im Internet gründlich durchliest, fällt auf: die Dinge, die Frauen da (meist für Männer) tun, tun sie ohne Freude, ja sogar gegen innere Widerstände. They fake. Jess Zimmermann präsentiert eine hypothetische Preisliste: „So tun, als fände ich dich faszinierend: 100 $, dein Ego streicheln, damit du nicht sauer wirst: 150 $, dir Feminismus auf Anfängerlevel erklären, als wärst du fünf Jahre alt: 300 $.“ Eine Kommentatorin listet die Erwartungen auf, die an Frauen gestellt werden, wenn es um Sex geht: „Die Erwartung, dass Frauen den Orgasmus faken (ansonsten werden sich die Männer schlecht fühlen, weil sie nicht gut genug performt haben), dass wir immer Sex haben sollen, auch wenn wir nicht wollen, dass wir unsere sexuellen Begehren als selbstsüchtig verleugnen.“ Offenbar können oder dürfen diese Frauen in den Beziehungen, die sie führen, nicht einfach sie selbst sein.

Wenn wir also davon ausgehen können, dass Mädchen noch immer dahingehend emotional geprägt werden, ihre echten Gefühle zu regulieren um einen bestimmten, erwarteten Gefühlsausdruck zu zeigen, wird klar, warum sie als Erwachsene keine erfüllten Beziehungen (zu Männern) führen können.
Kein Mensch kann immer liebevoll, zugewandt und einfühlsam sein und Frauen werden es noch viel weniger authentisch sein können, wenn sie tief verinnerlicht haben, dass diese Gefühle und Einstellungen anderen Menschen gegenüber zu ihren Aufgaben gehören. Liebe und Zuwendung funktionieren nicht als Auftrag. 

Sei ein Gefäß!

Ein weiterer Aspekt, der in den Beiträgen zu Emotionaler Arbeit von Frauen für Männer auffällt, ist, dass alle genannten Handlungen (beraten, trösten, umsorgen, zuhören…), wenn sie auf Dauer einseitig bleiben, die Frau als Subjekt aus der Beziehung heraushalten. Ihr Gegenüber bringt sich selbst, mit seinen Erlebnissen, seinen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten, in die Interaktion ein, während sie aufnimmt, was von ihm kommt. Hat sie denn keine Pläne und Abenteuer, in denen sie sich investiert und von deren Anstrengung sie sich in den liebevollen Armen eines anderen Menschen erholen muss? Braucht sie keinen Rat zur Erfüllung einer schwierigen Aufgabe? Warum hat sie nichts zu erzählen? Die Frage ist, ob es zur Wiederherstellung des Gleichgewichts reicht, die Männer dazu aufzufordern ihren Teil dazu zu tun. Vielleicht ist das größere Problem in vielen Beziehungen nicht, dass das männliche Gegenüber nicht Willens ist, zuzuhören, sondern, dass die Frau nichts zu erzählen hat – nicht, weil sie von Natur aus uninteressant wäre, sondern weil sie weitaus weniger selbstverständlich dazu erzogen und als Erwachsene dazu angehalten wird, sich für die Welt zu interessieren und sich aktiv in deren Gestaltung einzumischen, als Jungen und Männer. Mal subtiler, mal weniger subtil aus dem Entscheiden, Gestalten und Lenken herausgehalten, fehlen ihr die Betätigungsfelder, um sich als Subjekt zu konstituieren. Wenn frau nicht weiß, wer sie ist, findet sie es unter Umständen einfacher, sich ganz auf ihr Gegenüber einzuschwingen. Damit zusammenhängend gehören die unter Emotionale Arbeit gefassten Handlungen wohl oft zu denjenigen, mit denen Frauen sich sicher fühlen. Auch das macht es leichter, bei ihnen zu bleiben (und im zweiten Schritt Anerkennung dafür zu fordern), als sich auf das unsichere Terrain z.B. der Politik oder des künstlerischen Schaffens zu begeben, für dessen Herausforderungen Frauen nur unzulänglich vorbereitet wurden und auf dem sie zu allem Überfluss aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht als Gleiche empfangen und akzeptiert werden.

Auf Augenhöhe

Genau das ist es aber, was wir als Feministinnen in den Fokus unserer Bemühungen stellen sollten. Weder für uns, noch für Beziehungen ist etwas gewonnen, wenn wir fordern, dass Zuhören etc. als Emotionale Arbeit anerkannt werden und wir uns in endlosen Verhandlungen darüber aufhalten, ob sie in unseren Beziehungen gleich verteilt ist. Wollen wir wirklich Beziehungen führen, in denen wir am Ende des Tages aufs Emotionale-Arbeit-Konto schauen, um zu checken, ob die Balance stimmt? Stattdessen sollten wir (als Falken: weiterhin) ein Gegengewicht in der geschlechtsbezogenen Erziehung schaffen, indem wir Mädchen vermitteln, dass sie sie selbst sein dürfen und Jungen, dass sie gefühlvoll und empathisch sein dürfen. Wir sollten als Frauen in und mit der sozialistischen Bewegung Plätze erobern, auf denen wir Verantwortung tragen, Richtungen vorgeben, Pläne verwirklichen und Themen setzen. Wir sollten weiterhin fragen, warum wir dies oder jenes als Emotionale Arbeit empfinden und – gemeinsam – die Voraussetzungen für erfüllte und lebendige Beziehungen schaffen, in denen sich zwei Subjekte auf Augenhöhe begegnen.

Miriam Bähr (KV Bremen)