Gas, Wasser, Solidarität

Als ich von der AJ-Redaktion angefragt wurde, einen Artikel über unseren Kollektivbetrieb zu schreiben, fragte ich mich erstmal, was das eigentlich mit dem Thema Klasse zu tun hat. Während des Schreibens ist mir das dann selbst erst deutlich geworden und aus dem Bericht über meine Arbeit und den Betrieb wurde dann auch ein Text über die Beziehungen zwischen den Klassen in dieser Gesellschaft, über die Rolle von uns Sozialist*innen und auch über meine eigene Stellung darin.

Über mich 

Ich bin Nico, ich bin 30 Jahre alt und seit etwa 10 Jahren Falke, momentan bin ich einer der beiden Vorsitzenden im Unterbezirk Nürnberg. Meine Mutter hat mich und meine Brüder alleine großgezogen und da mein Erzeuger keine Alimente zahlte, fielen wir in Hartz IV und ich hab dadurch kennengelernt, was Armut in Deutschland bedeutet und mir wurde auch an vielen Punkten deutlich gemacht, welcher Klasse ich angehöre. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit und aufgrund starker Unterstützung meiner Familie, aber auch einer Lehrerin, habe ich es dann aufs Gymnasium geschafft. Dort war ich eher Außenseiter und immer neidisch auf die Mitschüler*innen mit den Markenklamotten. Dann wurde ich Punk und mir war’s wurst. Am Gymnasium wurde mir immer von Lehrer*innen und Direktoren gesagt, dass ich die künftige Elite Deutschlands sei. Ich hab danach erst mein Lehramtsstudium abgebrochen (zu schwer, zu überfordert) und Sozialarbeit studiert, was dank eines Stipendiums der Hans-Böckler Stiftung ohne finanzielle Schwierigkeiten ging. Nebenbei habe ich begonnen, bei dem Installateursbetrieb mitzuarbeiten, in dem auch mein Freund und Mitbewohner Jakob arbeitete. Ich hatte ein dreiviertel Jahr zwischen Bachelor und Master zu überbrücken und Jakobs Betrieb brauchte einen Helfer. Jakob hat nach der Hauptschule den Beruf erlernt. Ich habe einige Jahre zuvor bereits im selbstverwalteten Jugendzentrum Projekt31 zusammen mit Jakob Rohre gelötet. Mir hat die Arbeit Spaß gemacht und ich fand‘s cool, was dazu zu lernen, auch wenn sie oft dreckig, stinkig, stressig und körperlich anstrengend war. Später kam Philipp dazu, von dem ich auch viel lernte. Ich habe dann die Ausbildung gemacht und in der Berufsschule wurde mir und meinen Mitschüler*innen immer gesagt, wie blöd wir doch seien und dass wir unserem Chef gehorchen sollten und sowas. Also wurde mir in meiner schulischen Laufbahn erst mitgeteilt, dass ich künftige Elite sei und anschließend, dass ich künftiger Untertan sei. Ich denke, daran wird klar, dass in beiden Fällen ein bestimmtes Selbstbewusstsein geschaffen wird, das an die jeweilige Klasse geknüpft ist. Die Lernfabriken fördern das ganz gezielt und tragen u.a. dadurch zur Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft bei. In der Berufsschule kamen im Speziellen noch frauenverachtende Lehrer dazu, die wirklich aktiv dazu beitragen, dass das Handwerk (zumindest im Metallbereich) so männerbündisch ist. Ich konnte mich vor allem bei Jakob oft über diese scheiß Verhältnisse auskotzen, ihm erging es in der Meisterschule auch manchmal ähnlich. Unser Verhältnis zu Hans, unserem alten Chef war und ist wirklich gut und er hat uns alle stark unterstützt. Trotzdem war für Jakob, Philipp und mich klar, dass wir uns unser Arbeitsleben anders vorstellen und dass wir keinen Bock auf ein Elite-Untertanen-Verhältnis haben. 

Wir drei haben alle unterschiedliche Erfahrungen in Selbstverwaltung, Selbstorganisation und kollektiver Organisierung gemacht. Ich natürlich vor allem bei den Falken. Dass wir also künftig in einem Kollektivbetrieb arbeiten wollten, lag nahe.

Über unseren Kollektivbetrieb

Jakob, Philipp und ich haben also alle schon seit einigen Jahren in dem alten Betrieb zusammengearbeitet. Im September 2020 haben wir dann einen neuen Betrieb gegründet, weil der alte Chef in den Ruhestand ging. Unser Betrieb läuft ein bisschen anders als herkömmliche Handwerksbetriebe. 

Bei uns gibt es nicht einen Chef, sondern drei. Oder eben keinen. Wir haben einen Kollektivvertrag geschlossen, in dem wir unsere Arbeitsbedingungen und andere wichtige Sachen festgehalten haben. Zum Beispiel steht da drin, dass man betriebliches Kindergeld kriegt, wenn man Kinder hat. Oder dass wir auch betrieblich für’s Alter vorsorgen wollen. Oder dass wir solidarische/linke Projekte mit unserer Arbeitskraft und unserem Wissen unterstützen wollen. Was wir konkret unterstützen, verhandeln wir gemeinsam. Jemand bringt einen Vorschlag ein, dann bespricht man erst, ob man das als Betrieb supporten will, wie dringlich das ist, guckt dann, ob es finanziell und ressourcenmäßig möglich ist und trifft dann eine Entscheidung. Bisher haben wir einen lokalen, proletarischen Sportverein mit dem Einbau von Duschen, einen linken Laden mit Heizungsreparaturen und Sea-Eye bei der Werft des neuen Seenotrettungsschiffs Sea-Eye4 unterstützt.

Das klingt jetzt alles etwas nach Schlaraffenland, das ist es natürlich nicht. Die Arbeit ist schon sehr anstrengend, für Körper und auch für den Kopf. Schwierig ist vor allem das Abschalten nach Feierabend. Man muss auch viel mehr mitdenken, organisieren und auf dem Schirm haben, das kann schon zehren.

Formal sind wir drei gleichberechtigte Geschäftsführer einer GmbH und es gibt also neben dem Kollektivvertrag auch einen Gesellschaftsvertrag. Mit dem Gesellschaftsvertrag tun wir dem bürgerlichen Recht genüge, der Kollektivvertrag ist unsere organisatorische und inhaltliche Geschäftsgrundlage. Neben uns drei Monteuren gibt es noch eine Bürokraft. Wir haben sie aus dem alten Betrieb übernommen und sie wollte auch erstmal so weiterarbeiten wie bisher. Sie hat sich deshalb dagegen entschieden, die vierte gleichberechtigte Geschäftsführerin zu werden. Wenn sie in Rente geht und wir eine neue Person dafür suchen, wollen wir aber auf jeden Fall, dass diese dann auch formal die gleiche Position hat wie wir. 

Benannt haben wir den Betrieb nach dem Kommunisten und Klempner Felix Plewa, der 1934 von den Nazis hingerichtet wurde. Er ist für uns als Antifaschisten natürlich ein Vorbild und wir haben deshalb die VVN-BdA angefragt, ob wir den Namen verwenden dürfen. 

Unser Arbeitsalltag 

Unser Alltag auf Arbeit sieht so aus, dass wir uns frühs treffen und gemeinsam auf die Baustelle fahren. Dort ist dann einer von uns dreien der „Chef“ der Baustelle, das bedeutet: er hat den Überblick, weiß, was zu tun ist, hat alles mit der Kundschaft besprochen und geplant, hat Material bestellt und so weiter. Die anderen arbeiten dann zu. Auf der nächsten Baustelle ist dann ein anderer hauptverantwortlich. So rotieren bei uns die Verantwortlichkeiten von Baustelle zu Baustelle. Wir nehmen uns einmal die Woche Zeit für gemeinsame Besprechungen, wo wir abchecken, wie es uns geht, privat oder arbeitsmäßig, wie der Stand auf den Baustellen ist und wer wo oder wann noch Hilfe braucht. Wenn wir Werkzeug oder Sonstiges kaufen müssen, beschließen wir das auch bei diesen Treffen. Hier finden also unsere Entscheidungen als Betrieb statt und auch die Aufgaben werden verteilt. Hier klären wir auch, wenn es Unmut oder Streitigkeiten unter uns gibt. 

Meine Klasse 

Marxistisch betrachtet sind wir nun Teil der Klasse des traditionellen Kleinbürgertums, denn wir verfügen über Produktionsmittel (also unser Werkzeug, Fahrzeuge etc.), arbeiten aber selbst. Wir sind also Teil der Klasse derer, die „selbst nicht unmittelbar Lohnarbeit ausbeuten. Dieses Kleinbürgertum gehört als solches nicht der reinen kapitalistischen Produktionsweise (Kapital – Lohnarbeit) an“ (Poulantzas). 

Im Klassenkampf spielt das Kleinbürgertum eine etwas seltsame Rolle – wir stehen zwischen der Kapitalist*innenklasse und der Arbeiter*innenklasse. Wir verfügen über Produktionsmittel wie erstere und damit auch ein Interesse an so Übeln wie dem Recht auf Eigentum. Zugleich leben wir aber nicht von fremder, sondern von der eigenen Arbeit und sind damit Teil der proletarischen Klasse. Auf welche Seite die Klasse des Kleinbürgertums sich im Klassenkampf stellt, hängt auch davon ab, inwieweit es der proletarischen Klasse gelingt, Bündnisse mit ihr zu schließen. 

Es gibt bestimmt viele historische Beispiel für solche Zusammenschlüsse zwischen Kleinbürgertum und Proletariat. Eines, das mir beim Schreiben in den Sinn kam, ist vielleicht die Pariser Commune von 1871. Leo Trotzki hat einmal geschrieben, dass „jede wirkliche Analyse der politischen Lage […] von den Beziehungen zwischen drei Klassen ausgehen [muss]: Bourgeoisie, Kleinbürgertum (samt Bauernschaft) und Proletariat“ und dass das Kleinbürgertum die grundlegende soziale Stütze des Kapitals ist. Dies beruht aber nicht auf Vertrauen und Zusammenarbeit, sondern „in seiner Masse ist das Kleinbürgertum eine ausgebeutete und benachteiligte Klasse. Es steht der Großbourgeoisie mit Neid und oft mit Hass gegenüber“. Neid führt wahrscheinlich eher dazu, selber Groß- statt Kleinbürger sein zu wollen, als dazu, die gesellschaftlichen Spielregeln ändern zu wollen. Für uns als Sozialist*innen gilt es in Bezug auf Bündnisse mit dem Kleinbürgertum also vielleicht, den Neid umzuwandeln und das objektive Interesse des Kleinbürgertums als ebenfalls ausgebeutete Klasse an einer klassenlosen Gesellschaft stark zu machen.

Kann das jede*r machen? 

Ich denke nicht, dass jede*r, der*die unsere Idee und unseren Kollektivbetrieb gut findet, einfach sagen kann: “Yo, so mach ich das auch.” Wir hatten schon auch eine große Portion Glück mit dem alten Chef, bei dem wir drei uns ja schon arbeitsmäßig kennenlernen konnten. Außerdem braucht man z.B. für die Gründung einer GmbH mindestens 25.000 Euro und auch die Werkzeuge, Fahrzeuge und so weiter kosten ja Geld. Man muss also erstmal Geld haben oder geliehen bekommen, damit man loslegen kann. Das ist schon eine Hürde, die ich z.B. dank meiner Familie meistern konnte, weil die seit meiner Geburt Geld auf mein Sparbuch eingezahlt haben. Aktuell sind Handwerker*innen aber so gesucht, dass man viele Aufträge und damit Geld auch wieder reinbekommt. Trotzdem will ich den bisherigen Erfolg unseres Kollektivbetriebs nicht als Beispiel für „Jede*r kann es schaffen“ verstanden wissen, weil es so nicht ist und so läuft auch der Kapitalismus nicht. 

Ich find’s aber super, wenn Menschen sich zusammentun und überlegen, wie sie Kollektive aus den gemeinsamen Interessen oder Tätigkeiten heraus bilden können und gerade im Arbeitskontext finde ich es sinnvoll. Kollektivbetriebe sind kein antikapitalistischer Schlag, aber sie machen es an manchen Stellen leichter – z.B. konnten wir eine 30-Stunden-Woche einfach beschließen und haben jetzt 10 Stunden mehr Zeit, um an den Ästen der kapitalistischen Gesellschaft zu sägen. 

Nico Schreiber
UB Nürnberg

Nico ist einer der beiden Vorsitzenden im UB Nürnberg und arbeitet als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechnik in einem Kollektivbetrieb in Nürnberg.