Von Kindern und Kadern

(Bild: Mona Schäfer)

„Naja, Leo mal ganz ehrlich: linker Kader sein und Kinder haben, das schließt sich einfach aus. Außer vielleicht die Falken machen bei jedem Treffen Kinderbetreuung.“ 

Dieser Satz fiel beim Cornern mit Nicht-Falken-Genossen*innen. Zunächst irritierte er mich, aber natürlich hatte ich nicht die schlagfertige Antwort parat, die ich ihm gerne entgegengebracht hätte. Dennoch regte er mich nachhaltig zum Nachdenken an. Wie strukturieren wir eigentlich unsere politischen und privaten Räume? Welche Bedeutung haben Kinder in unserer Gesellschaft? 

Als Materialist*in schaut mensch sich in diesem Fall natürlich die materiellen Bedingungen an, unter denen Menschen versuchen, ein politisches Familiendasein zu führen. Hierbei kann der neoliberale Umbau von (Sozial-)Staat und Ökonomie nicht umschifft werden. Bezeichnend für ihn ist unter anderem die Ablehnung kollektivistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Auch wenn in die Verbreitung der neoliberalen Ideologieströmungen viel Arbeit gesteckt wurde und wird, sind es meines Erachtens vor allem die realen Konsequenzen neoliberaler Politik und Marktwirtschaft, die einen erheblichen Einfluss auf das (Sozial-) Leben der Menschen haben.

Freiheit durch Autonomie, Stillstand durch Abhängigkeit 

In der neoliberalen Marktwirtschaft in einer globalisierten Konkurrenzsituation wird Flexibilität zum Erfolgsgaranten. Das Unternehmen muss flexibel auf die Veränderungen und die sich rasant entwickelnden Ansprüche des Marktes reagieren. Dies hat zur Folge, dass die Strukturen der Arbeitsplätze sich verändern. Die Arbeitsplatzmobilität, also die Anstrengung den eigenen Arbeitsplatz zu erreichen, hat sich für einen Großteil der Bevölkerung massiv verändert. Lange Arbeitswege, Zweithaushalte mit wochenendlichem Pendeln oder der Umzug in eine neue Stadt, sind längst nicht mehr die Ausnahme. Ungebundenheit wird belohnt.

Hinzu kommt das Postulat des lebenslangen Lernens. Eine Ausbildung zu machen, in den Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden und dort ein Leben lang zu arbeiten, und zwar mit der Chance innerhalb des Unternehmens aufzusteigen, ist inzwischen eine Seltenheit. Stillstand ist der größte Feind des Unternehmens. Mit der Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen steigt der Leistungsdruck. Arbeiter*innen sind zu Unternehmer*innen der eigenen Arbeitskraft geworden. Sie müssen sich, ähnlich der Entwicklung eines Unternehmens, ständig in Bewegung befinden: sich weiterbilden, Engagement zeigen, Zusatzkompetenzen erwerben, etc. Dies gilt längst nicht mehr nur für Arbeitsplätze der gehobenen Mittelschicht. Besonders Sozialhilfe-Empfänger*innen werden durch den sogenannten Ansatz des „Förderns und Forderns“ in genau diese Dynamik gezwungen. 

Natürlich schlägt sich dies in unserer Subjektwerdung, also dem Prozess, in welchem sich der Mensch zu einem sich-selbst-bewussten und aktiven Wesen wird, nieder. Diese Internalisierung, oder Übernahme der Werte von Selbstoptimierung und Autonomie, beschränkt sich durchaus nicht mehr auf die Bereiche des wirtschaftlichen Lebens. Die Sphäre des Privaten folgt nun zwei diametral entgegengesetzten Logiken. Auf der einen Seite lassen sich marktwirtschaftliche Prämissen hier wiederfinden. Konkurrenzdenken, Selbstoptimierungstendenzen, ein schlechtes Gewissen nach einem Tag auf der Couch bis hin zu Versagensängsten ohne objektive Grundlage kennen wir bestimmt alle. Auf der anderen Seite soll eben die Reproduktionssphäre das genaue Gegenteil sein. Es sollen Weichheit, Wärme und Fürsorge regieren, um die Kälte und Härte des Lohnarbeitsdaseins zu lindern und um als menschliches Wesen nicht ganz zugrunde zu gehen. Es muss ja auch weiter produziert und gedienstleistet werden. 

Dauerhafte Beziehungen freundschaftlicher, familiärer oder romantischer Art werden angegriffen von einem Außen. Hierzu zählen beispielsweise Umzüge (zu Karrierezwecken), Zeitmangel (Lohnarbeit frisst den Großteil des Tages) und Kräftenachlass (nach acht Stunden Lohnarbeit  fällt es trotz Interesse oft schwer ein*e gute*r Zuhörer*in zu sein). Außerdem werden sie von internalisiertem Selbstoptimierungs- und Autonomiestreben angegriffen. 

(Bild: Mona Schäfer)

“He, Entschuldigen Sie, Sie haben mein Gruppenkind überrannt”

Nun zu den Kindern. Kinder passen hier nicht rein. Also so gar nicht. Die Zeitlogik des Neoliberalismus widerstrebt der Zeitlogik, die Kindererziehung vorgibt. Um das zu erfahren muss mensch nur einmal mit Kleinkindern am Bahnhof unterwegs sein: die werden überrannt- ehrlich, ich habs ausprobiert. Kinder verlangsamen und behindern die Karriere der Elternteile – zumeist die der Mutter. Kinder sind nicht von Geburt an in die Verwertungslogik und Rationalität eingespurt, auch wenn das mit zunehmender Schulzeit staatlich schwer bearbeitet wird. Eltern wird es in dieser Gesellschaft so schwer gemacht, dass es manchmal zum verzweifeln ist. Eltern aus linken Kontexten erhoffen sich deshalb logischerweise meist Unterstützung, den Ansatz einer kollektivistischen Erziehung in einem gemeinschaftlichen Rahmen, in dem sie und ihre Kinder gesehen und ernst genommen werden. Häufig, und dazu gibt es allein in meinem Umfeld wirklich viele Beispiele, funktioniert dies aber nicht. Politisch gestaltete Lebens- und Kampfräume, also Wohngemeinschaften, linke Gruppen und Organisationen scheitern sehr oft daran, Eltern weiter zu integrieren. Dies hat sicherlich verschiedene Gründe. Einer mag sein, dass auch manche Linke nicht vor der Illusion des neoliberalen Glücksversprechens der Freiheit in Autonomie und Ungebundenheit gefeit sind. Ein anderer vielleicht, dass Kinder schwere Fragen stellen, auf die es schwer fällt einfache Antworten zu finden, gerade politisch. Außerdem treffen die oben beschriebenen Arbeits- und Lebensbedingungen natürlich auch Personen aus linken Strukturen. Dass Politik Mehrarbeit bedeutet,  hält Linke normalerweise jedoch auch nicht davon ab, politische Arbeit zu verrichten, Räume diskriminierungsfrei zu gestalten oder in Theorie und Praxis gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Beim Thema Kinderkriegen scheint hierfür jedoch keine Notwendigkeit gesehen zu werden. Die Abwendung von Kindern und Eltern führt dabei zu einer doppelten Enttäuschung der Betroffenen. Erstens wollten die meisten ja gerade nicht ins Private, ins bürgerliche Kleinfamilienleben, gedrängt werden, mit dem sie sich dann konfrontiert sehen, da ihnen bewusst ist, dass hier das Glück nicht zu finden ist. Sie wissen, dass eine Partnerschaft eben nicht die Verletzungen dieser Gesellschaft auflösen kann. Alleinerziehende Elternteile, meistens Mütter, sehen sich mit einer ausgeprägten Einsamkeit konfrontiert und müssen faktisch mehr leisten als möglich. Der zweite Grund ist, dass die Existenz von Kindern die Kälte der kapitalistischen Gesellschaft noch einmal verschärft. Ein Job-Verlust, die Angst davor oder ein niedriger Lohn sind belastender, wenn man Kinder mit zu versorgen hat. Die Wut gegen diese Gesellschaft wächst. Aber wohin mit ihr, wenn man mit Kind „nicht mehr linker Kader sein kann“? 

Natürlich liegt die Grundproblematik, wie schon beschrieben, in der kapitalistischen und patriarchalen Verfassung dieser Gesellschaft und die logische Konsequenz ist die Abschaffung dieser. 

Solange aber dies nicht geschafft ist, lohnt es sich in den eigenen Strukturen ein Umfeld zu schaffen das Eltern, besonders Mütter, entlastet und Kinder akzeptiert. Hieraus leitet sich für eine progressive Bewegung ein politischer Auftrag ab. Es gilt diesen Auftrag anzunehmen und solidarische Strukturen zu schaffen, in denen politische Organisierung von Eltern und Kindern möglich wird und eine kollektive Verantwortungsübernahme angestrebt wird. Es gilt außerdem, das Glücksversprechen durch Unabhängigkeit und Verantwortungsabgabe als individualisierend zu entlarven. Wir als Falken, die viel Erfahrung in der politischen Arbeit mit Kindern haben, können damit beginnen anderen Genoss*innen nahe zu bringen, dass Kinder als (politische) Subjekte betrachtet werden sollten, dass es sich lohnt ihnen zuzuhören und dass es einen Gewinn bedeuten kann, im privaten sowie im politischen Leben. Natürlich sind Kinder manchmal anstrengend, aber ganz ehrlich, Erwachsene sind das auch. Kinder bedürfen besonderer Rücksicht, dafür vermögen sie es auch manchmal, die eigenen Sorgen und Ängste in den Hintergrund treten zu lassen. Eine Offenheit für Kinder im eigenen Umfeld ist nicht nur Kindern und ihren Eltern gegenüber fair, sondern schließt an ein kollektivistisches Grundprinzip an, mit welchem wir den neoliberalen Entwicklungen wirklich etwas entgegenzusetzen haben. Wenn sich eine Frau dazu entschieden hat ein Kind zu bekommen, soll sie nicht die Erfahrung machen, aufgrund  dieser Entscheidung aus politischen Kontexten ausgeschlossen zu werden. 

Des Weiteren können wir unsere politischen Gruppen so strukturieren, dass ein Kind nicht die Organisierung verhindert und unsere Praxis beweist, dass auch Kinder sich organisieren können. Wir haben Genoss*innen bei uns, die Eltern sind. So eine Struktur zu schaffen kann verschieden aussehen. Es muss beispielsweise in Ordnung sein, dass Eltern nicht zu jedem Treffen kommen können. Schon Kleinkinder können in unsere Zeltlager integriert werden, wenn die Eltern als Helfis mitfahren möchten. Eltern können Freiräume geschaffen werden, damit sie sich auch weiter politisch bilden und organisieren können oder um einfach mal durchzuschnaufen. Wir als Falken Nürnberg sind uns auch überhaupt nicht zu schade bei linken Veranstaltungen wie der linken Literaturmesse oder der FLINTA-only Party am 8. März eine Kinderbetreuung anzubieten. Diese ist aber auch mit politischer Bildung verbunden. Ein reines Abschieben der Erziehungsarbeit als Teil der Reproduktionsarbeit, in dem Sinne, dass andere dann die „wirkliche politische Arbeit“ tun können, halten wir für unangemessen. Die Frauen zugewiesene Reproduktionsarbeit erfährt hierdurch, wie in der bürgerlichen Gesellschaft üblich, eine Abwertung. Wir wissen, dass Kinder sich für politische Themen interessieren und haben jahrzehntelange Erfahrung darin, wie man politische Themen kindgerecht aufbereitet. Wir wissen, dass es eine revolutionäre Tat ist, Kindern Bedeutung zuzumessen, ihnen Gehör zu verschaffen und ihnen zu helfen, ihre gesellschaftliche Kritik zu formulieren. 

Also: Natürlich können Eltern politische Kader sein, wenn man sie denn lässt. 

Leonie (UB Nürnberg)

Quellen:

Adamczak, B. (2013): Beziehungsweise. Liebe und Kapital 

Klinger, C. (2018): The Selfie- oder das überforderte Subjekt. In: Thomas Fuchs, Lukas Iwer und Stefano Micali (Hg.): Das überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten Gesellschaft. 

Ptak, Ralf (2008): Grundlagen des Neoliberalismus. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Ralf Ptak (Hg.): Kritik des Neoliberalismus 

Schneider, N.; Ruckdeschel, K. (2002): Mobil, flexibel, gebunden : Familie und Beruf in der mobilen Gesellschaft