Sozialistische Frauen – Charlotte Bremer

Ein Nachruf

Unsere Freundin und Genossin Charlotte Bremer ist am 12.05.2022 plötzlich und unerwartet verstorben. Charlottes Tod hat uns alle sprachlos und hilflos gemacht. Sie wurde im Alter von 27 Jahren aus ihrem Leben gerissen.

Erstes Foto der MFPK 2021 (unvollständig) von links nach rechts: Charlotte Schwab, Charlotte Bremer, Micki Börchers, Emma Novi.

Charlotte Bremer war eine herausragende Feministin, eine gute Genossin und vor allem eine liebevolle Freundin. Als Mädchen- und Frauenpolitische Kommission trauern wir nicht nur um ein Mitglied unserer Kommission, sondern vor allem auch um eine liebe Freundin. 

Charlotte, die von uns allen Charly genannt wurde, war seit 2021 Mitglied in der MFPK. Charly hat immer gerne geschrieben und somit auch unsere Kategorie „Sozialistische Frauen“ mitgeprägt. Zu ihren Ehren möchten wir sie – die eine sozialistische Frau war wie keine andere – in unserer Kategorie verewigen.

Charly hat jede noch so zähe Sitzung bereichert, nicht nur weil sie sich immer um alle gekümmert hat und als Einzige wirklich immer für alle Snacks dabeihatte, sondern auch, weil sie die Diskussionen genau verfolgt hat und wenn es nötig war durch ihre besonnene Art vermitteln konnte.
Charly hat vor allem die Arbeit der MFPK zur Situation von Mädchen und Frauen in Afghanistan vorangebracht, die MFPK mit einem Workshop auf dem Rosa und Karl 2021 zu genau diesem Thema vertreten und auch an verschiedenen Artikeln mitgewirkt.

Einige von uns haben Charly schon vor ihrer Zeit in der MFPK gekannt, weil es seit 2017 kaum eine Bundesmaßnahme ohne sie gab. Charly war wie kaum jemand Teil unseres Verbandes, sie war Bezirksvorsitzende unseres größten Bezirkes Westliches Westfalen. Wer im Verband aktiv ist weiß, welche Verantwortung das ist. Sie hat ihre Rolle als Bezirksvorsitzende sehr ernst genommen und all ihre WeWechen zuverlässig zu Bundesausschüssen und Konferenzen angemeldet, auf den Veranstaltungen zusammengehalten und in allen Fragen unterstützt.

Charly auf dem Organisiert Euch 2018.

Charly hat vieles von dem verkörpert was Falken ausmacht. Sie hat alles mitgenommen, war überall, wo es etwas zu lernen und zu diskutieren gab. Verbandliche Arbeit war für Charlotte keine Frage von „Kapazitäten“ – vielmehr hat sie ihre Arbeit aus der tiefen Überzeugung heraus gemacht, dass dies genau das Richtige ist, was getan werden muss. Der Verband war für sie aber auch eine Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Erfahrungen zu machen und zu wachsen. Charly ist in den letzten Jahren ihres Lebens so unglaublich über sich hinausgewachsen – aufgeblüht. Sie hatte in ihrem jungen Leben noch zu viel zu erleben und war ein Mensch, der so unglaublich das Hier und Jetzt zu genießen wusste und gleichzeitig noch so viel vor hatte für ihre Zukunft.

Charly hat allen Menschen um sie herum unglaublich viel gegeben. Sie war nicht nur gerne im Verband, sondern sie selbst war auch der Grund, warum Menschen gerne im Verband sind. Wir werden unsere Genossin immer vermissen und sie in unserer Mitte behalten. Weil wir als Genoss*innen und Freund*innen immer miteinander verbunden sein werden.

Freundschaft, Charly!

Editorial

Eine der wichtigsten Funktionen unseres Verbands ist, dass wir hier miteinander und voneinander lernen. Insofern sind wir ein Bildungsverband: wir bilden einander weiter. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Bildung? In dieser Ausgabe wird deutlich, dass Bildung an sehr unterschiedlichen Orten sehr unterschiedlich konzeptionalisiert wird. Eines ist klar: Zukünftigen Arbeiter*innen werden vor allem im schulischen Kontext Wissen und Fähigkeiten vorenthalten. Wie sollten wir bei den Falken darauf reagieren? Wie sollten wir mit Wissensvorsprüngen umgehen? Was hat Bildung mit Autorität, Revolution und Identität zu tun? Warum gibt ein generelles “Elend im Schülermilieu”? Sind Jugendparlamente eine gute Form politischer Bildung oder doch nur Scheinpartizipation? Und sollten wir Falken mehr Theater spielen? Diese und andere Fragen stellen sich die Autor*innen der ersten Arbeiter*innenjugend im Jahr 2022.

Eine spannende und lehrreiche Lektüre wünscht

Eure AJ-Redaktion

In eigener Sache

Falls ihr Lust habt, über die Artikel zu diskutieren, Bilder auszusuchen und drei Wochenenden im Jahr erübrigen könnt, freuen wir uns über neue Gesichter in der Redaktion. Schreibt uns eine Mail an aj-redaktion@wir-falken.de und wir melden uns bei euch.

Das Thema unserer dritten Ausgabe 2022 ist ‘Krieg und Frieden’:

Selbst wenn eine Partei ‘gewinnt’ oder eine Verhandlungslösung zustande kommt: Der Krieg in der Ukraine und die Reaktionen darauf werden die Gesellschaft nachhaltig verändern. Was bedeutet Militarisierung für junge Menschen? Wie kann sich der Verband auf anstehende soziale Verteilungskämpfe vorbereiten? Wie erlebt ihr als potenziell Betroffene die Debatte um Pflichtdienste? 

Wenn ihr etwas zur Beantwortung dieser oder andere Fragen beitragen wollt, schickt eure Artikel bis zum 14. Oktober an die Redaktion.
PS: Habt ihr schon ein Abo für die Arbeiter*innenjugend? Mitglieder der Falken bekommen die Zeitschrift kostenfrei und druckfrisch nach Hause. Scannt dazu einfach den QR-Code! Ansonsten könnt ihr euch auf unserem Blog www.arbeiterinnenjugend.de umschauen.

Rezension „Beziehungsweise Revolution“

Der Titel ist schon einmal vielversprechend: Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und folgende. Wer kennt nicht die romantische Träumerei: Man ist Revolutionär*in, der*die Partner*in auch und im Tumult der revolutionären Unruhen weiß man um die gegenseitige Verbundenheit, wirft sich inmitten der Menge kurze intime Blicke zu und für einen Moment hört man das Getöse um sich herum nicht mehr – und nur einen Augenblick später schwillt es wieder an und man wird wieder Teil der revolutionären Menge.

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Hilfe, meine Beziehungen sind verdinglicht

Viele Menschen fühlen sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen überrannt und so, als könnten sie gar nichts dagegen tun. So scheint beispielsweise der Klimawandel allem Aktivismus zum Trotz unaufhaltsam: weil Kohle und Erdöl so billig sind, hat jedes Land und jedes Unternehmen einen Nachteil, wenn es selbst darauf verzichtet, aber die anderen nicht. Die Rente scheint perspektivisch ohnehin verloren, denn wer soll die finanzieren? Und Privatsphäre in der digitalen Welt wird wohl weitgehend eine Illusion bleiben, solange man mit personalisierter Werbung so viel Geld verdienen kann. Armut und Arbeitslosigkeit sind in dieser Gesellschaft auch nicht zu vermeiden und der Faschismus verschwindet auch nie wirklich. Kurz: es scheint, als hätte diese Gesellschaft ein Eigenleben, dem weder Politik, Gewerkschaften noch irgendjemand anderes etwas entgegensetzen können. Was bleibt da anderes übrig, als wie ein Surfer auf der Welle der ohnehin stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu reiten, anstatt sich gegen das aufzulehnen, was scheinbar so oder so kommen wird?

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Eine Stunde Zuhören? Macht 50 € – Warum uns der Begriff der emotionalen Arbeit nicht weiterbringt

Schon länger höre ich den Begriff ‚Emotionale Arbeit‘ oder Abwandlungen davon von Genossinnen und Freundinnen. Sie verwenden ihn beispielsweise, um Aufgaben zu beschreiben, die sie unausgesprochen in Gruppensituationen übernehmen oder um zu erklären, warum sie ihr Privatleben als auslaugend empfinden. In den USA kursiert der Begriff ‚emotional labor‘ schon länger in Artikeln, Blogeinträgen und Kommentarspalten. Dort wird er verwendet, um eine recht weite Bandbreite an Aufgaben zu beschreiben, die Frauen übernehmen: Rat geben, Trost spenden, zuhören, Andere umsorgen und ihnen Aufmerksamkeit schenken, aber auch Geburtstage im Kopf haben, Putzkräfte auswählen und einstellen oder das Haustier einschläfern lassen. Auch Sex wird in einigen Kommentarspalten unter Emotionale Arbeit gefasst. Die Autorinnen problematisieren, dass Frauen die oben genannte Dinge – in den aufgeführten Beispielen nahezu ausschließlich für Männer – tun, ohne dafür wertgeschätzt zu werden oder Vergleichbares zurückzubekommen. Der Begriff ‚emotional labor‘ soll zunächst dazu dienen, dies wahrnehmbar und verhandelbar zu machen. Einige Autorinnen stellen die zugespitzte Forderung nach Bezahlung für Emotionale Arbeit. Ein Beispiel von der feministischen Webseite ‘The Toast’: „Es mag kontraintuitiv sein, aber es lohnt sich, Emotionale Arbeit als Dienstleistung zu betrachten – eine, die in Reaktion auf konstante Nachfrage angeboten wird. Was auch immer du vom Kapitalismus hältst, wir baden darin, und nach seinen eigenen Regeln sollten wir für eine Arbeit, die stark nachgefragt ist, vergütet werden.“

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Von Kindern und Kadern

(Bild: Mona Schäfer)

„Naja, Leo mal ganz ehrlich: linker Kader sein und Kinder haben, das schließt sich einfach aus. Außer vielleicht die Falken machen bei jedem Treffen Kinderbetreuung.“ 

Dieser Satz fiel beim Cornern mit Nicht-Falken-Genossen*innen. Zunächst irritierte er mich, aber natürlich hatte ich nicht die schlagfertige Antwort parat, die ich ihm gerne entgegengebracht hätte. Dennoch regte er mich nachhaltig zum Nachdenken an. Wie strukturieren wir eigentlich unsere politischen und privaten Räume? Welche Bedeutung haben Kinder in unserer Gesellschaft? 

Als Materialist*in schaut mensch sich in diesem Fall natürlich die materiellen Bedingungen an, unter denen Menschen versuchen, ein politisches Familiendasein zu führen. Hierbei kann der neoliberale Umbau von (Sozial-)Staat und Ökonomie nicht umschifft werden. Bezeichnend für ihn ist unter anderem die Ablehnung kollektivistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Auch wenn in die Verbreitung der neoliberalen Ideologieströmungen viel Arbeit gesteckt wurde und wird, sind es meines Erachtens vor allem die realen Konsequenzen neoliberaler Politik und Marktwirtschaft, die einen erheblichen Einfluss auf das (Sozial-) Leben der Menschen haben.

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Gas, Wasser, Solidarität

Als ich von der AJ-Redaktion angefragt wurde, einen Artikel über unseren Kollektivbetrieb zu schreiben, fragte ich mich erstmal, was das eigentlich mit dem Thema Klasse zu tun hat. Während des Schreibens ist mir das dann selbst erst deutlich geworden und aus dem Bericht über meine Arbeit und den Betrieb wurde dann auch ein Text über die Beziehungen zwischen den Klassen in dieser Gesellschaft, über die Rolle von uns Sozialist*innen und auch über meine eigene Stellung darin.

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Genoss*innen! – Eine besondere Beziehungsweise

„We’ve learned the world’s divided
and we have made a choice“

No going back – Lied der Bergarbeiterfrauen

Bei den Falken bezeichnen wir einander in der Regel als Genoss*innen und meinen damit eine besondere Weise, sich aufeinander zu beziehen. Genoss*innen, das sind diejenigen, die im politischen Kampf auf derselben Seite stehen. Die Kommunistin und Politikwissenschaftlerin Jodi Dean schreibt in ihrem Buch “Genossen!”: „(…) ich begreife den Genossen als Chiffre für das politische Verhältnis von Menschen auf derselben Seite einer politischen Barrikade. (…) Wenn wir siegen wollen, und wir müssen siegen, müssen wir zusammen handeln.

We’ve learned the world’s divided

Diese Definition der Genoss*innenschaft hat eine ganz und gar nicht selbstverständliche Voraussetzung: Das Verständnis von Gesellschaft als Resultat von Konflikten zwischen konkreten Akteur*innen. Akteur*innen, also auch wir als Verband, verfolgen Interessen, entwickeln Strategien, um sie durchzusetzen, schließen Bündnisse, versuchen Diskurse zu lenken und Menschen für ihr Projekt zu gewinnen, kurz: Man tut, was nötig ist, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Im Grunde ist diese Aussage banal. Sie sagt nichts anderes, als dass es Politik gibt. Aber gerade das ist nach Jahrzehnten der neoliberalen Zurichtung absolut keine Selbstverständlichkeit mehr. Neoliberalismus heißt Politikverdrängung. Jodi Dean beschreibt die Entpolitisierung des gesellschaftlichen Lebens als ein Auseinanderfallen in zwei Pole: auf sich selbst zurückgeworfene Individuen auf der einen und unpersönliche, entfernte Systeme, die unveränderbar erscheinen, auf der anderen Seite. In ihren eigenen Worten: „Wir haben verantwortliche Individuen, die verantwortlich gemacht und als Zentren autonomer Entscheidung dargestellt werden; und wir haben Individuen, die mit ausweglosen Situationen konfrontiert sind, auf die sie keinerlei Einfluss haben.“

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