Editorial

Eine der wichtigsten Funktionen unseres Verbands ist, dass wir hier miteinander und voneinander lernen. Insofern sind wir ein Bildungsverband: wir bilden einander weiter. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Bildung? In dieser Ausgabe wird deutlich, dass Bildung an sehr unterschiedlichen Orten sehr unterschiedlich konzeptionalisiert wird. Eines ist klar: Zukünftigen Arbeiter*innen werden vor allem im schulischen Kontext Wissen und Fähigkeiten vorenthalten. Wie sollten wir bei den Falken darauf reagieren? Wie sollten wir mit Wissensvorsprüngen umgehen? Was hat Bildung mit Autorität, Revolution und Identität zu tun? Warum gibt ein generelles “Elend im Schülermilieu”? Sind Jugendparlamente eine gute Form politischer Bildung oder doch nur Scheinpartizipation? Und sollten wir Falken mehr Theater spielen? Diese und andere Fragen stellen sich die Autor*innen der ersten Arbeiter*innenjugend im Jahr 2022.

Eine spannende und lehrreiche Lektüre wünscht

Eure AJ-Redaktion

In eigener Sache

Falls ihr Lust habt, über die Artikel zu diskutieren, Bilder auszusuchen und drei Wochenenden im Jahr erübrigen könnt, freuen wir uns über neue Gesichter in der Redaktion. Schreibt uns eine Mail an aj-redaktion@wir-falken.de und wir melden uns bei euch.

Das Thema unserer dritten Ausgabe 2022 ist ‘Krieg und Frieden’:

Selbst wenn eine Partei ‘gewinnt’ oder eine Verhandlungslösung zustande kommt: Der Krieg in der Ukraine und die Reaktionen darauf werden die Gesellschaft nachhaltig verändern. Was bedeutet Militarisierung für junge Menschen? Wie kann sich der Verband auf anstehende soziale Verteilungskämpfe vorbereiten? Wie erlebt ihr als potenziell Betroffene die Debatte um Pflichtdienste? 

Wenn ihr etwas zur Beantwortung dieser oder andere Fragen beitragen wollt, schickt eure Artikel bis zum 14. Oktober an die Redaktion.
PS: Habt ihr schon ein Abo für die Arbeiter*innenjugend? Mitglieder der Falken bekommen die Zeitschrift kostenfrei und druckfrisch nach Hause. Scannt dazu einfach den QR-Code! Ansonsten könnt ihr euch auf unserem Blog www.arbeiterinnenjugend.de umschauen.

Rezension „Beziehungsweise Revolution“

Der Titel ist schon einmal vielversprechend: Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und folgende. Wer kennt nicht die romantische Träumerei: Man ist Revolutionär*in, der*die Partner*in auch und im Tumult der revolutionären Unruhen weiß man um die gegenseitige Verbundenheit, wirft sich inmitten der Menge kurze intime Blicke zu und für einen Moment hört man das Getöse um sich herum nicht mehr – und nur einen Augenblick später schwillt es wieder an und man wird wieder Teil der revolutionären Menge.

„Rezension „Beziehungsweise Revolution““ weiterlesen

Hilfe, meine Beziehungen sind verdinglicht

Viele Menschen fühlen sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen überrannt und so, als könnten sie gar nichts dagegen tun. So scheint beispielsweise der Klimawandel allem Aktivismus zum Trotz unaufhaltsam: weil Kohle und Erdöl so billig sind, hat jedes Land und jedes Unternehmen einen Nachteil, wenn es selbst darauf verzichtet, aber die anderen nicht. Die Rente scheint perspektivisch ohnehin verloren, denn wer soll die finanzieren? Und Privatsphäre in der digitalen Welt wird wohl weitgehend eine Illusion bleiben, solange man mit personalisierter Werbung so viel Geld verdienen kann. Armut und Arbeitslosigkeit sind in dieser Gesellschaft auch nicht zu vermeiden und der Faschismus verschwindet auch nie wirklich. Kurz: es scheint, als hätte diese Gesellschaft ein Eigenleben, dem weder Politik, Gewerkschaften noch irgendjemand anderes etwas entgegensetzen können. Was bleibt da anderes übrig, als wie ein Surfer auf der Welle der ohnehin stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu reiten, anstatt sich gegen das aufzulehnen, was scheinbar so oder so kommen wird?

„Hilfe, meine Beziehungen sind verdinglicht“ weiterlesen

Eine Stunde Zuhören? Macht 50 € – Warum uns der Begriff der emotionalen Arbeit nicht weiterbringt

Schon länger höre ich den Begriff ‚Emotionale Arbeit‘ oder Abwandlungen davon von Genossinnen und Freundinnen. Sie verwenden ihn beispielsweise, um Aufgaben zu beschreiben, die sie unausgesprochen in Gruppensituationen übernehmen oder um zu erklären, warum sie ihr Privatleben als auslaugend empfinden. In den USA kursiert der Begriff ‚emotional labor‘ schon länger in Artikeln, Blogeinträgen und Kommentarspalten. Dort wird er verwendet, um eine recht weite Bandbreite an Aufgaben zu beschreiben, die Frauen übernehmen: Rat geben, Trost spenden, zuhören, Andere umsorgen und ihnen Aufmerksamkeit schenken, aber auch Geburtstage im Kopf haben, Putzkräfte auswählen und einstellen oder das Haustier einschläfern lassen. Auch Sex wird in einigen Kommentarspalten unter Emotionale Arbeit gefasst. Die Autorinnen problematisieren, dass Frauen die oben genannte Dinge – in den aufgeführten Beispielen nahezu ausschließlich für Männer – tun, ohne dafür wertgeschätzt zu werden oder Vergleichbares zurückzubekommen. Der Begriff ‚emotional labor‘ soll zunächst dazu dienen, dies wahrnehmbar und verhandelbar zu machen. Einige Autorinnen stellen die zugespitzte Forderung nach Bezahlung für Emotionale Arbeit. Ein Beispiel von der feministischen Webseite ‘The Toast’: „Es mag kontraintuitiv sein, aber es lohnt sich, Emotionale Arbeit als Dienstleistung zu betrachten – eine, die in Reaktion auf konstante Nachfrage angeboten wird. Was auch immer du vom Kapitalismus hältst, wir baden darin, und nach seinen eigenen Regeln sollten wir für eine Arbeit, die stark nachgefragt ist, vergütet werden.“

„Eine Stunde Zuhören? Macht 50 € – Warum uns der Begriff der emotionalen Arbeit nicht weiterbringt“ weiterlesen

Von Kindern und Kadern

(Bild: Mona Schäfer)

„Naja, Leo mal ganz ehrlich: linker Kader sein und Kinder haben, das schließt sich einfach aus. Außer vielleicht die Falken machen bei jedem Treffen Kinderbetreuung.“ 

Dieser Satz fiel beim Cornern mit Nicht-Falken-Genossen*innen. Zunächst irritierte er mich, aber natürlich hatte ich nicht die schlagfertige Antwort parat, die ich ihm gerne entgegengebracht hätte. Dennoch regte er mich nachhaltig zum Nachdenken an. Wie strukturieren wir eigentlich unsere politischen und privaten Räume? Welche Bedeutung haben Kinder in unserer Gesellschaft? 

Als Materialist*in schaut mensch sich in diesem Fall natürlich die materiellen Bedingungen an, unter denen Menschen versuchen, ein politisches Familiendasein zu führen. Hierbei kann der neoliberale Umbau von (Sozial-)Staat und Ökonomie nicht umschifft werden. Bezeichnend für ihn ist unter anderem die Ablehnung kollektivistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Auch wenn in die Verbreitung der neoliberalen Ideologieströmungen viel Arbeit gesteckt wurde und wird, sind es meines Erachtens vor allem die realen Konsequenzen neoliberaler Politik und Marktwirtschaft, die einen erheblichen Einfluss auf das (Sozial-) Leben der Menschen haben.

„Von Kindern und Kadern“ weiterlesen

Gas, Wasser, Solidarität

Als ich von der AJ-Redaktion angefragt wurde, einen Artikel über unseren Kollektivbetrieb zu schreiben, fragte ich mich erstmal, was das eigentlich mit dem Thema Klasse zu tun hat. Während des Schreibens ist mir das dann selbst erst deutlich geworden und aus dem Bericht über meine Arbeit und den Betrieb wurde dann auch ein Text über die Beziehungen zwischen den Klassen in dieser Gesellschaft, über die Rolle von uns Sozialist*innen und auch über meine eigene Stellung darin.

„Gas, Wasser, Solidarität“ weiterlesen

Genoss*innen! – Eine besondere Beziehungsweise

„We’ve learned the world’s divided
and we have made a choice“

No going back – Lied der Bergarbeiterfrauen

Bei den Falken bezeichnen wir einander in der Regel als Genoss*innen und meinen damit eine besondere Weise, sich aufeinander zu beziehen. Genoss*innen, das sind diejenigen, die im politischen Kampf auf derselben Seite stehen. Die Kommunistin und Politikwissenschaftlerin Jodi Dean schreibt in ihrem Buch “Genossen!”: „(…) ich begreife den Genossen als Chiffre für das politische Verhältnis von Menschen auf derselben Seite einer politischen Barrikade. (…) Wenn wir siegen wollen, und wir müssen siegen, müssen wir zusammen handeln.

We’ve learned the world’s divided

Diese Definition der Genoss*innenschaft hat eine ganz und gar nicht selbstverständliche Voraussetzung: Das Verständnis von Gesellschaft als Resultat von Konflikten zwischen konkreten Akteur*innen. Akteur*innen, also auch wir als Verband, verfolgen Interessen, entwickeln Strategien, um sie durchzusetzen, schließen Bündnisse, versuchen Diskurse zu lenken und Menschen für ihr Projekt zu gewinnen, kurz: Man tut, was nötig ist, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Im Grunde ist diese Aussage banal. Sie sagt nichts anderes, als dass es Politik gibt. Aber gerade das ist nach Jahrzehnten der neoliberalen Zurichtung absolut keine Selbstverständlichkeit mehr. Neoliberalismus heißt Politikverdrängung. Jodi Dean beschreibt die Entpolitisierung des gesellschaftlichen Lebens als ein Auseinanderfallen in zwei Pole: auf sich selbst zurückgeworfene Individuen auf der einen und unpersönliche, entfernte Systeme, die unveränderbar erscheinen, auf der anderen Seite. In ihren eigenen Worten: „Wir haben verantwortliche Individuen, die verantwortlich gemacht und als Zentren autonomer Entscheidung dargestellt werden; und wir haben Individuen, die mit ausweglosen Situationen konfrontiert sind, auf die sie keinerlei Einfluss haben.“

„Genoss*innen! – Eine besondere Beziehungsweise“ weiterlesen

„Mit der Wahl von Frauen in politische Vorstände ist erst der Anfang gemacht“ – Interview mit Jana Herrmann

Bild: Alma Kleen

Auf der vergangenen Bundeskonferenz im Mai wurde nicht nur ein neuer Bundesvorstand gewählt. Auch wurde der Abschied von Jana Herrmann als Bundesvorsitzende gefeiert. Vier Jahre lang hat sie als Vorsitzende die Geschicke des Verbandes geprägt – dem gingen weitere sechs Jahre als Mitglied im Bundesvorstand voraus. Wir haben sie u.a. zu ihrer Zeit als Teil der ersten weiblichen Doppelspitze in der Geschichte des Verbandes, zu zukünftigen Herausforderungen für die Falken sowie zu ihrer persönlichen Zukunft befragt. 

Liebe Jana, nach vier Jahren als Bundesvorsitzende hast du dich nun aus dem Bundesvorstand verabschiedet. Mit welchen Gefühlen lässt du nun den Vorsitz hinter dir?  

Ich hätte eigentlich gedacht, dass man nach diesem Schritt in ein tiefes Loch fällt und auch Angst hat, dass nach einem alles zusammenbricht. Tatsächlich gehe ich aber mit einem sehr positiven Gefühl. Das liegt zum einen an der sehr wertschätzenden Verabschiedung auf der Bundeskonferenz, bei der gezeigt wurde, was ich während meiner Zeit im Verband alles gemacht habe. Zudem finde ich den neuen Bundesvorstand richtig gut. Die Genoss*innen, die nun gewählt wurden, betreiben ihre Arbeit mit einer Ernsthaftigkeit, die mich nachts gut schlafen lässt. Ihnen liegt der Verband genauso am Herzen wie mir. Deshalb kann ich mit einem guten Gefühl gehen. 

Dennoch ist der Abschied von der Erkenntnis begleitet, dass ich nie wieder im Leben so einen geilen Job haben werde. Die Falken waren lange Zeit mein Ehrenamt und mein einziges Hobby. Als Bundesvorsitzende habe ich für das, was mir wahnsinnig viel Spaß gemacht hat, auch noch Geld bekommen. Aber natürlich war klar, dass ich diese Arbeit irgendwann an andere abgeben werde. 

„„Mit der Wahl von Frauen in politische Vorstände ist erst der Anfang gemacht“ – Interview mit Jana Herrmann“ weiterlesen