Über die Verachtung, die einer Vorkämpferin für Klimagerechtigkeit entgegenschlägt
Greta Thunberg war erst fünfzehn, als sie innerhalb kürzester Zeit weltweite Berühmtheit erlangte. Im Sommer 2018, der in Europa von einer ungewöhnlichen Hitze- und Dürreperiode geprägt war, setzte sie sich nach Ende der Sommerferien erstmals freitags während der Schulzeit mit einem Schild vor den schwedischen Reichstag in Stockholm und streikte. Ihr Protest richtete sich dagegen, dass die Maßnahmen der schwedischen Regierung und anderer Industrienationen gegen den Klimawandel unverantwortlich seien und nicht annähernd weit genug gingen, um dessen Fortschreiten zu verhindern. Sie bezog sich dabei insbesondere auf das Pariser Klimaabkommen gegen die globale Erwärmung, dem 2015 zwar 197 Vertragsparteien zugestimmt haben. Nach derzeitigem Stand werden die dort formulierten Ziele von kaum einem Staat erreicht. Nach ihrem Vorbild entstand innerhalb des letzten Jahres die “Fridays for Future” (FFF)-Bewegung, in der maßgeblich Schüler*innen freitags für die Klimarettung demonstrieren und das in ganz Europa und darüber hinaus.
Greta wurde zum Gesicht der Klimarettungs-Bewegung und nutze schnell ihre Bekanntheit, um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen. Dafür fuhr sie zu zahlreichen Events, darunter die UN-Klimakonferenz in Katowice und das Weltwirtschaftsforum in Davos. In Berlin wurde ihr für ihr Engagement die Goldene Kamera verliehen. Mit der Bekanntheit kam jedoch auch ein ungeahntes Maß an Hass, das sich seitdem besonders in den sozialen Medien, aber auch in Zeitungsartikeln über sie ergießt.
Zwei provokative Zöpfe
Offensichtlich ist alles an Greta für ihre Gegner*innen unheimlich provokant. Bereits ihr „braves“ Aussehen mit dem akkuraten Mittelscheitel und zwei langen Zöpfen ist Anlass für Mutmaßungen, sie sei doch wohl eher 12 als 15. Schnell gilt sie als instrumentalisiert von ihren Eltern, die in Schwedens Kulturszene bekannt sind. Als öffentlich wird, dass bei Greta das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, scheint dies für ihre Kritiker*innen ein gefundenes Fressen, um sie als verrückte „Gretel Thunfisch“ für unzurechnungsfähig zu erklären. Ein Ausschnitt aus dem Buch Szenen aus dem Herzen, das die Thunberg-Familie kürzlich veröffentlichte, fand dabei besondere Beachtung. Gretas Mutter berichtet dort an einer Stelle darüber, dass Greta sehe, was andere nicht sehen wollten: „Greta gehört zu den wenigen, die unsere Kohlendioxide mit bloßem Auge erkennen können. Sie sieht, wie die Treibhausgase aus unseren Schornsteinen strömen, mit dem Wind in den Himmel steigen und die Atmosphäre in eine gigantische unsichtbare Müllhalde verwandeln“. Ein Zitat, das sicherlich keine übersinnliche Fähigkeit von Greta enthüllt, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen ist, aber seitdem häufig aus dem Zusammenhang gerissen wird, um zu unterstreichen, dass die Familie Thunberg spinnt.
Um der Wahrheit nicht ins Auge blicken zu müssen, dass ein junges Mädchen aus Schweden etwas ausspricht, das in der Konsequenz bedeuten würde, dass sich durch eine wirksame Klimapolitik die Lebensgestaltung einiger Menschen radikal ändern müsste, ist den Kritiker*innen keine Schmähung zu blöd. So steht besonders Gretas angebliche Unglaubwürdigkeit aufgrund ihrer vermeintlichen Inkonsequenz immer wieder im Mittelpunkt. Ein Reflex, der schnell auf die gesamte Bewegung übertragen und teilweise mit vermutlich beabsichtigten Falschdarstellungen illustriert wird. Kaum ein Facebook-Post über Greta, unter dem nicht das Bild von ihr verlinkt wird, auf dem sie im Zug von Plastikgeschirr isst, kaum ein Artikel über FFF, unter dem nicht das Bild einer vermüllten Straße – angeblich Überreste der letzten Schüler*innen-Demo – zu finden ist. Meist lässt sich leicht nachweisen, dass diese Bilder von anderen Events stammen. Zu Beginn der Sommerferien höhnten die Greta-Gegner*innen, dass ja nun sicher alle „Schulschwänzer*innen“ mit ihren Eltern in den Urlaub fliegen würden. Dass Streik nicht dasselbe ist wie Schwänzen, dass er auch in den Ferien nicht funktioniert, weil ja auch Arbeiter*innen nicht während des genehmigten Urlaubs streiken, dass FFF trotzdem zu Demonstrationen aufrief – egal. Offenbar ist die Unmöglichkeit, in einer Umweltzerstörung in Kauf nehmenden Gesellschaft klimaneutral zu leben, eine willkommene Ausrede. Was man eigentlich mit sich selbst ausmachen müsste, nämlich den Wahrheitsgehalt der Aussagen der Klimabewegung für sich zu prüfen und über Konsequenzen nachzudenken, lässt sich durch den Angriff auf die Überbringer*innen der Botschaft abwehren.
Auch inhaltlich ist das eine höchst problematische Perspektive, denn das Problem des Klimawandels ist ja gerade, dass ihn nicht jeder Mensch individuell verhindern kann. Denn Einfluss über seinen individuellen und gesellschaftlich verschwindend geringen Konsum hat man ohnehin nur sehr begrenzt. Auf Anbieterseite ist der Klimaschutz selbst nicht mehr als eine Marketing-Masche und niemand weiß, ob beim Rewe die neuerdings unverpackt verkauften Paprika nicht hinter den Kulissen einfach nur aus der Tüte ausgepackt werden. Das eigene, „saubere“ Konsumverhalten kann lediglich zur Verdeutlichung des Problems dienen und die eigene Überzeugung unterstreichen – so wie Greta es tut, wenn sie stundenlang Nachtzug fährt, statt zu ihren Vorträgen mit dem Flugzeug anzureisen. Aber nicht einmal die dadurch ausgedrückte “Haltung” kann sich jede*r leisten, denn Bio-Produkte und Bahnreisen sind teuer. So wird selbst das schlechte Gewissen noch auf diejenigen abgewälzt, auf die für ihre Armut ohnehin schon herabgeschaut werden kann. Etwas, das zumindest kapitalismuskritische Ökostreikende mit ihrem Protest zu Sprache bringen, wenn man ihnen denn zuhört. Das aber wollen die Kritiker*innen gar nicht.
Wer hasst hier eigentlich wen?
Wer sind denn eigentlich die Menschen, die so viel Hass investieren, um Schüler*innen zu diffamieren und die völlig ironiefrei bei den ersten Anzeichen, dass 2019 kein erneuter Dürresommer werden könnte, schreiben: „Mit Freibad hat es sich erledigt. Danke Gretel“?
Es lässt sich leicht mutmaßen, dass es sich zum einen um Rechte handelt, um AfD-Sympathisant*innen, Leugner*innen des Klimawandels, die dieselbe Hetze auch gegen die Grünen platzieren, wo es nur im Entferntesten passt und dabei mit Vorliebe Frauen wie Claudia Roth oder die Vorsitzende der Grünen Jugend, Ricarda Lang, sexistisch diffamieren. Und auch dies ist sicher keine zufällige Schnittstelle: Während bei FFF viele Mädchen und junge Frauen präsent sind und Interviews geben, scheint es sich bei ihren Gegner*innen oft um erwachsene Männer zu handeln. Insgesamt ist Umweltpolitik geschlechterpolitisch betrachtet ein spannendes Phänomen: Obwohl Frauen statistisch gesehen nachweislich „klimafreundlicher“1 leben, sind sie, gerade im Globalen Süden, deutlich stärker von den Folgen des Klimawandels und von Naturkatastrophen bedroht. Das liegt beispielsweise daran, dass sie sich häufiger um Kinder und Angehörige kümmern und im Falle einer akuten Bedrohungssituation, z.B. eines Tsunamis, nicht nur ihr eigenes Leben in Sicherheit bringen müssen. Aber auch die höhere Armutsquote bei Frauen führt dazu, dass sie zum Beispiel im Falle einer Dürre schneller existenziell bedroht sind.
Der Klimawandel ist also nicht geschlechtsneutral. Misogynie und die Leugnung der menschlichen Verantwortung für den Klimawandel sind miteinander verknüpft. Umso bezeichnender ist es, mit welcher Verachtung Mädchen und Frauen wie Greta Thunberg begegnet wird, die, polemisch gesagt, wieder einmal den Dreck wegräumen, den die Männer im Wandel der Zeit verursacht haben.
Jana Herrmann, UB Dortmund
- Frauen sind nicht klimafreundlicher, weil sie sich mehr darum bemühen, sondern aufgrund ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung. Global gesehen haben Frauen aus finanziellen Gründen seltener ein eigenes Auto und da weniger Frauen lohnarbeiten, haben sie auch keinen Arbeitsweg. Unter anderem daher verursachen Frauen weniger CO2-Emissionen. ↵