Ein grünes Tuch, ein Spruch an vielen Wänden: “Vivas nos queremos”, “Wir wollen uns lebend”, eine Bewegung, viele Forderungen.
Die feministische Bewegung in Argentinien ist ganz viel und sie ist überall. Der Anfang der aktuellen Welle des feministischen Protests und Kampfes wird meist 2015 mit der Gründung des Bündnisses “Ni una Menos” (dt.: Keine Einzige weniger) gegen brutale Femizide und sexualisierte Gewalt an Frauen* gesetzt, hat seitdem massiv an Fahrt aufgenommen und ist nun eine der treibenden Kräfte im Land. Sie kämpfen in Gedenken an Chiara, Lucía und all die weniger prominenten toten jungen Frauen*, die vergewaltigt in Müllsäcken endeten. Für Feminismus und gegen eine frauen*feindliche Gesellschaft, in der solch schreckliche Verbrechen an der Tagesordnung stehen: Alle 30 Stunden wird in Argentinien eine Frau umgebracht.
Sie kämpfen für legale, kostenlose Abtreibungen und körperliche Selbstbestimmung. Denn ungewollte Schwangerschaften sind Realität, genauso sind es Abtreibungen – und durch ihr Verbot auch die Tatsache, dass immer wieder Frauen* daran sterben, da sie illegale und unprofessionelle Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen müssen.
Sie kämpfen für ökonomische Gleichheit und das Aufbrechen von patriarchalen Strukturen, die Frauen* in Abhängigkeitsverhältnisse drängen. Frauen* machen nach wie vor den Großteil der Hausarbeit und sind durch die zunehmende Prekarisierung, Verlängerung der Arbeitszeit, Kombination von unbezahlter Hausarbeit und bezahlter Lohnarbeit am meisten betroffen. Die ökonomische Ungleichheit ist ein wichtiger Nährboden für eine frauen*feindliche Gesellschaft, da sie Abhängigkeit und Unterordnung mit sich zieht.
Sie kämpfen gemeinsam gegen Diskriminierung in allen Lebensbereichen und gegen die patriarchale Gesellschaft mit ihren unterdrückenden Strukturen. So finden sich auf den Demonstrationen und Veranstaltungen junge Studentinnen, Alleinerziehende, Prekär Beschäftigte, Indigene, und viele mehr.
Schulter an Schulter strecken sie das grüne Tuch in die Höhe, als Verschwesterung, aber auch als gemeinsamen Angriff auf das Patriarchat und für eine Gesellschaftsveränderung. Keine andere Bewegung schafft es gerade so viele Menschen zu mobilisieren, zu politisieren und auf die Straße und zu Veranstaltungen zu bringen. Keine andere schafft es, dem neoliberal-konservativen Präsidenten Mauricio Macrí zum Trotz, ihre Themen auf die politische Agenda zu setzen und einen gesellschaftlichen Diskurs zu verändern bzw. zu beginnen.
Die feministische Bewegung ist aktuell die lauteste und stärkste Opposition gegen Macrí. So wurden zum Beispiel die ersten Streiks gegen die Austeritätspolitik des Präsidenten nicht von den historisch starken und in der Gesellschaft fest verwurzelten Gewerkschaften initiiert, sondern von
Frauen*. Und auch wenn sie es nicht erfolgreich zu einer Gesetzesverabschiedung geschafft hat, so wurde die Debatte um Abtreibung im Abgeordnetenhaus und Senat öffentlich thematisiert und besprochen und somit in die Institutionen gebracht. Die feministische Bewegung scheint aktuell der wichtigste und größte Hoffnungsträger für eine gesellschaftliche Transformation zu einem gerechteren und gleichberechtigteren Argentinien zu sein. Und das in einem Land, in dem die konservative Regierung und die katholische Kirche ihr immer mehr Steine in den Weg legt. Eine Veränderung geschieht wahrscheinlich nicht durch Institutionen und Recht, sondern durch die Eröffnung von Debatten und Diskursen in der Gesellschaft.
Wo vor 10 Jahren noch nicht über Abtreibung oder die Infragestellung weiblicher Hausarbeit gesprochen werden konnte, sind eben diese Fragen nun überall und der Vorhang der Tabuisierung endgültig zur Seite gezogen. Es gibt fast keinen Ort mehr, an dem nicht über die Rechte der
Frauen* diskutiert wird oder feministische Symbole zu sehen sind. Die feministische Bewegung ist nicht einnehmend und übernehmend, sondern ein Hoffnungsträger für die Transformation zu einer gerechteren Gesellschaft, die größte, radikalste und am meiste mobilisierende Bewegung, die es schafft, gesellschaftliche Diskurse zu beeinflussen, viele Menschen zu politisieren und auf die Straße zu bringen. Sie ist ein Anfang, der den Stein ins Rollen bringt.
Eva Gertz, LV Berlin
Anlässlich des G20-Gipfels in Buenos Aires reiste eine Falken-Delegation Ende November 2018 nach Argentinien. Im Nachgang der Reise entstand eine Broschüre, in der die Delegation sich mit dem Thema „Feminismus in Argentinien“ auseinandersetzt. Aus dieser Broschüre drucken wir den ersten Artikel „Von Verschwesterung und Widerstand – Feministische Bewegung als Hoffnungsträger“. Wenn ihr mehr über die Reise und das Thema erfahren möchtet, schaut in die Broschüre.
Ihr findet die Broschüre online unter: https://www.wir-falken.de/publikationen/broschueren/10767680.html
Zudem kann sie gegen Porto- und Versandkosten im Falken-Shop bestellt werden.