Christchurch. Halle. Utøya. Dies sind Ortsnamen, die wie viele weitere für uns heute mit rechten Morden verbunden sind. In ihrer konkreten Unterschiedlichkeit sind diese Taten durch die ihnen zugrundeliegenden Ideologien miteinander verbunden. Die Täter der oben genannten Ereignisse kommunizierten ihre Motivation vor, während und nach den Taten sowohl in einschlägigen Online-Foren, in Schriftform und den anschließenden Gerichtsprozessen und ganz offensichtlich durch die Wahl ihrer Opfer. Der Attentäter von Christchurch ermordete gezielt die Besucher*innen von zwei Moscheen, der Mörder in Halle versuchte zunächst eine Synagoge zu stürmen und auf Utøya wurde bewusst ein Zeltlager der Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokratie angegriffen, die für Zuwanderung und die Emanzipation von Frauen und queeren Menschen verantwortlich gemacht wurden.
Was die hier offenkundigen Motive Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus miteinander gemeinsam haben, ist die zugrunde liegende Vorstellung, dass es Menschen gibt, die zu beherrschen, auszugrenzen oder zu vernichten seien. Solche Merkmale können Aussehen, (vermeintliche) Herkunft, Religion, körperliche Eigenschaften oder auch die politische Orientierung sein. Man spricht deshalb von Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Solche Ideologien sind auch Gegenstand der empirischen Sozialforschung, wie etwa aus den Mitte-Studien oder der Langzeit-Untersuchung Deutsche Zustände. Die Mitte-Studien befragen Personen etwa nach ihrer Haltung zu Thesen, die mehr oder weniger eindeutig diskriminierend und abwertend sind. Abhängig davon, wie vielen Thesen in welchem Grad zugestimmt wurde, ermitteln die Forscher*innen dann einen Index, aus dem die Zustimmung zu rechten Ideologien abgeleitet wird. Ab einer bestimmten Kennzahl wird den Befragten ein “geschlossen rechtsextremes Weltbild” attestiert. Aus den bisherigen Ergebnissen dieser Studien lässt sich ablesen, dass es sich bei diesen Ideologien nicht um ein Phänomen handelt, dass sich auf eine Minderheit von organisierten, militanten Neonazis beschränkt. Im Gegenteil, Ideologien der Ungleichwertigkeit sind über alle soziodemografischen Merkmale (also Alter, Geschlecht, formaler Bildungsgrad, Einkommen, …) hinweg verbreitet, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Von der Einstellung zum Handeln
Offensichtlich überführt nicht jede*r mit etwa antisemitischen Einstellungen diese auch in öffentliche (gewalttätige) Handlungen, dazu bedarf es weiterer Faktoren. Entsprechendes Handeln, so legen es die Mitte-Studien dar, kann unterschiedliche Formen annehmen. Dies reicht von einschlägigen Äußerungen im Privaten oder in der Öffentlichkeit, über das Wählen entsprechender Parteien bis hin zu verbalen oder körperlichen Angriffen auf Personen, die dem eigenen Weltbild widersprechen. Zu welchen Handlungen Personen bereit sind, hängt damit zusammen, in welchem Ausmaß diese Handlungen mit gesellschaftlichen Sanktionen (oder auch gesellschaftlicher Befürwortung) verbunden sind und wie sehr die Person sich von der Akzeptanz der Gesellschaft abhängig fühlt. Für die meisten Menschen ist es tatsächlich wichtig, sich in einem gesellschaftlichen Akzeptanzkorridor zu bewegen. Dieser ist aber durchaus beweglich und hängt von aktuellen Stimmungslagen ab. Je menschenfeindlicher diese Stimmung wird, desto mehr Handlungsoptionen werden akzeptiert werden. Rechte Akteur*innen haben genau das zum Ziel.
Um diese Überlegung konkreter zu machen: Wer selbst in einer gesellschaftlich exponierten Rolle ist, die vom öffentlichen Zuspruch abhängig ist (etwa als Bürgermeister*in), wird sich überlegen, ob die eigenen Handlungen gesellschaftlich akzeptiert sind. Eine rassistische Bürgermeisterin wird vermutlich keine Gruppe anführen, die eine Asylunterkunft anzünden will, aber ihre Überzeugungen anderweitig in zum Ausdruck bringen. Denn während offen gewalttätiges Verhalten von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, wäre etwa die Unterbringung von Geflüchteten in einem abgelegenen, unsanierten Gebäude mit schlechter Infrastruktur wahrscheinlich durchaus akzeptiert.
Wer sich aber bereits außerhalb dieser Gesellschaft sieht oder sich einen Bezugsraum geschaffen hat, der den eigenen rassistischen, antisemitischen oder sexistischen Einstellungen positiv gegenüber steht, wird wenig darauf achten, sich im erwähnten Akzeptanzkorridor zu bewegen. Dies gilt sowohl für organisierte Rechtsradikale, in deren Szene Ideologien der Ungleichwertigkeit nicht nur akzeptiert, sondern Grundlage sind, als auch für nicht organisierte Einzelpersonen, die sich etwa in Chatrooms und Foren mit Gleichgesinnten austauschen. Hier kann sich die Vorstellung entwickeln, dass man nicht nur nicht allein ist, sondern eigentlich zu den Menschen gehört, die den wahren Charakter dieser Welt erkannt haben und die meisten Menschen eigentlich die gleichen Ansichten haben und sich nur nicht trauen, diese auszusprechen. In diesem Sinne kann sich der*die Täter*in als Vollstrecker*in eines nicht formulierten Volkswillens begreifen, der*die das tut, was notwendig ist.
Wann spricht man von Terrorismus?
Rechte Gewalt tritt deutlich häufiger auf, als wir von rechtem Terrorismus oder Terror hören. Beide Phänomene sind eng miteinander verbunden, sind aber tatsächlich nicht dasselbe. Als Terrorismus werden Taten verstanden, die darauf abzielen, durch große gesellschaftliche Aufmerksamkeit gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. So haben Terroranschläge, wie etwa auf Utøya, nicht nur das Ziel, die konkreten Opfer zu töten, sondern auch in der gesamten Gruppe, für die stellvertretend angegriffen wurden, in Angst zu versetzen, die schließlich dazu führt, die politische Arbeit einzustellen oder gar das Land zu verlassen. Gleichzeitig soll über dazu veröffentlichte Erklärungen Zustimmung bei den Menschen erzeugt werden, die der*die Täter*in zu vertreten glaubt. Terrorist*innen sind dabei aber nicht auf die gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Sie können aus dem Geheimen heraus handeln, so gesellschaftlicher Sanktionierung entgehen und beziehen sich dann höchstens auf ein klar benennbares Unterstützungsnetzwerk.
Terror wiederum ist ein grundsätzlicher Zustand, der dadurch erreicht wird, dass verbale und körperliche Übergriffe, die etwa rassistisch motiviert sind, gesellschaftlich, wenn nicht offen akzeptiert, doch zumindest ignoriert und hingenommen werden. Dazu gehört im Zweifel auch der Aufruf, auf Aufmärsche von Faschist*innen damit zu reagieren, ihnen Gesprächsangebote zu machen, ihre Forderungen in konkrete Politik zu gießen oder mit den entsprechenden Parteien in den Parlamenten zu kooperieren. Wenn die Täter*innen keine Sanktionen fürchten müssen, können sie ein Klima erzeugen, in dem die von ihnen verfolgten Personen sich nicht fragen, ob etwas passiert, sondern nur noch wann etwas passiert. Terroristische Taten können dazu beitragen, ein solches Klima zu erzeugen, insbesondere, wenn diese von der Mehrheit der Gesellschaft nicht als solche erkannt und bewertet werden. Das Ignorieren und Relativieren solcher Taten kann die Täter*innen in ihrem Glauben bestärken, im Sinne einer schweigenden Mehrheit zu handeln.
Was heißt das für unsere verbandliche Praxis?
Als sozialistischer Kinder- und Jugendverband haben wir eine Gesellschaft zum Ziel, in der rechter Gewalt die Grundlage entzogen ist. Realistischerweise sind wir von diesem Zustand jedoch immer noch weit entfernt. Unser Handeln im Hier und Jetzt kann daher darin bestehen, nicht nur Ideologien der Ungleichwertigkeit da zu kritisieren, wo sie uns begegnen, ob in (Hoch-)Schule, Betrieb oder Familie und auch Akteur*innen einer vermeintlichen politische Mitte einer entsprechenden Kritik zu unterziehen, sondern auch Terrorismus als solchen zu bezeichnen. Häufig werden insbesondere Morde, die aus rechten Motiven begangen wurden, als “nicht politisch” abgehakt. Dies gilt auch für rechte Taten, bei denen Menschen zusammengeschlagen wurden und die als “normale” Schlägerei behandelt werden. Hier auf den politischen Charakter aufmerksam zu machen, verhilft nicht nur den Opfern und ihren Angehörigen zu einer (späten) Form der Anerkennung, sondern zeichnet auch ein klareres Bild der aktuellen Zustände in dieser Gesellschaft.
Steffen Göths, LV Brandenburg