Schwangerschaftsabbruch legalisieren: Obwohl Frauen* Aufklärung fordern, wird am frauen*feindlichen Gesetz festgehalten

Bild: Robert Couse-Baker

Im vergangenen Herbst sorgte ein Protest für Aufsehen: Es ging um die Anklage gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel. Ihr wurde vorgeworfen, auf der Internetseite ihrer Praxis für Schwangerschaftsabbrüche zu werben, was nach Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs in Deutschland verboten ist. Ende November wurde Kristina Hänel zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro verurteilt. Seitdem regt sich Widerstand: Feminist*innen fordern, dass der Paragraph 219a abgeschafft wird. Denn dieser stellt auch das öffentliche Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen, etwa über eine Internetseite, unter Strafe. Während Routineuntersuchungen, Kinderwunschbehandlungen oder Impfungen als Dienstleistungen von Arztpraxen angekündigt werden können, dürfen es Schwangerschaftsabbrüche nicht. Dies erschwert es Frauen, die ungewollt schwanger sind, sich sowohl über Orte, an denen sie eine Abtreibung vornehmen können, als auch über den Abbruch an sich zu informieren. 

“Lebensschützer*innen” kämpfen gegen Aufklärung und Selbstbestimmung 

Angeklagt wurde Kristina Hänel von sogenannten „Lebensschützer*innen“. Diese Bewegung ist Ende der 1970er Jahre in den USA entstanden und setzt sich für den Schutz des ungeborenen Lebens ein. Für viele Vertreter*innen gilt bereits die befruchtete Eizelle als neues Leben. Schwangerschaftsabbrüche wollen sie verhindern. Deshalb greifen sie auch hierzulande zu drastischen Mitteln: So belagern sie regelmäßig Beratungsstellen, die auch Schwangerschaftskonfliktberatungen durchführen. Sie verteilen kleine Babyfiguren, die für die Embryonen stehen sollen, die möglicherweise abgetrieben werden – aber: bis zur 12. Schwangerschaftswoche, dem Zeitpunkt, bis zu dem Frauen in Deutschland nach einer Beratung straffrei die Schwangerschaft abbrechen lassen dürfen, sieht kein Embryo aus wie ein Baby. Vielmehr sollen Frauen daran gehindert und emotional unter Druck gesetzt werden, einen Abbruch vorzunehmen. Auch die Arbeit von Beratungsstellen wird so massiv behindert. Denn den meisten Frauen fällt der Weg dorthin eh schon schwer – wenn sie dabei erkannt, davor angesprochen und ihnen sogar Mord vorgeworfen wird, noch viel mehr. Aber „Lebensschützer*innen“ zeigen auch regelmäßig Ärzt*innen an, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Neben Kristina Hänel stehen auch sie regelmäßig vor Gericht und müssen mit Strafen rechnen. Doch nicht alle haben den Mut und die Unterstützung, die die Gießener Ärztin hatte. Deshalb verzichten viele gleich auf Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. 

Forderung nach Abschaffung des Paragraph 219a 

Auf der Internetplattform change.org unterzeichneten 150.000 Personen eine Petition mit dem Anliegen, die Gesetzesregelung zu streichen. Die Unterschriftenliste reichte Kristina Hänel im Bundestag ein, im März dieses Jahres beriet der Bundesrat über die Forderung. Im vergangenen Winter sah es für das Vorhaben noch ganz gut aus: SPD, Grüne und Linke waren für die Abschaffung des Paragraphen, die FDP zeigte sich unentschlossen. Nur die CDU/CSU und die AfD sprachen sich dagegen aus. Im Frühjahr dann die böse Überraschung: Die SPD zieht ihren Antrag zurück – Koalitionsgespräche mit der CDU/CSU sind geplant. Das Aus für die Abschaffung des Paragraphen. Stattdessen wird die Justizministerin Katarina Barley beauftragt, eine Gesetzesänderung zu erarbeiten, über die der Bundestag noch in diesem Sommer beraten will. 

Der Paragraph, über den die Politik nun berät und der nach aktuellem Stand nicht gestrichen werden soll, besteht übrigens seit der Zeit des Nationalsozialismus. Damals wurden Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrachen, mit einer Gefängnisstrafe verurteilt. Denjenigen, die die Frauen beim Abbruch unterstützten, drohte die Todesstrafe. Dies galt in der Logik der Nationalsozialist*innen nur für Frauen, die als arisch galten – an jüdischen Frauen und Frauen mit Behinderung nahmen die Nationalsozialist*innen selbst Schwangerschaftsabbrüche vor. 

Regelung immer noch frauenfeindlich 

Die aktuelle Regelung für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland wurde Anfang der 1990er Jahre nach der Wiedervereinigung beschlossen. Die Fristenlösung, die bis 1989 in der DDR galt, wurde komplett verworfen.1 Der Paragraph der Bundesrepublik Deutschland, der in der heutigen Form 1995 verabschiedet wurde, stellt Schwangerschaftsabbrüche immer noch unter Strafe. In bestimmten Fällen kommt es allerdings nicht zur Verfolgung. Dies gilt, wenn der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen geschieht und wenn die Frau den Besuch einer Beratungsstelle – mindestens drei Tage vor dem Abbruch –  nachweisen kann. Feminist*innen kritisieren diese Regelung seit jeher. Denn zum einen ist ein Abbruch immer noch nicht legal. Zum anderen wird Frauen nicht zugetraut, selbst und unabhängig einer Zwangsberatung zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft fortführen möchten oder nicht. 

Das Statische Bundesamt schätzt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland im vergangenen Jahr auf etwas mehr als 100.000. Betrachtet man diese Zahl wird deutlich, warum es eine Änderung der Paragraphen 218 und 219 des Strafgesetzbuches braucht. Damit Frauen selbst entscheiden können, ob sie einen Abbruch vornehmen lassen, und sie auch die Möglichkeit haben, sich selbst zu informieren. Dies ist vor allem notwendig, da auch viele Ärzt*innen nicht wissen, wie Schwangerschaftsabbrüche funktionieren. Denn Abtreibungen werden in der medizinischen Ausbildung nicht gelehrt. Lediglich in der Facharztausbildung lernen angehende Gynäkolog*innen, wie sie einen Abbruch vornehmen – und auch das hängt stark davon ab, ob in dem Krankenhaus, in dem sie ihre Ausbildung machen, Abbrüche durchgeführt werden. Dass der Zugang zu Abtreibungen nicht immer gegeben ist, trifft besonders arme Frauen oder Alleinerziehende. Denn wenn sie lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen, kostet dies nicht nur Geld, das möglicherweise ohnehin knapp ist, sondern bedeutet oft auch einen großen organisatorischen Aufwand, wenn Kinder betreut werden müssen. 

Lisa-Marie Davies, Bildungsreferentin SBZ

  1. Seit 1972 galt in der DDR, dass Frauen eigenständig über die Fortführung einer Schwangerschaft entscheiden durften. Einzige Bedingung war, dass der Abbruch innerhalb der ersten 12 Wochen stattfand. Für die Frauen bedeutete dies einen großen Fortschritt, denn nun war es ihnen nicht nur erlaubt, eine ungewollte Schwangerschaft zu unterbrechen, sie hatten auch medizinischen Zugang dazu.