Bildung ist ein Menschenrecht!
Im August letzten Jahres wurde die Befürchtung vieler Menschen in Afghanistan wahr: Nachdem der Großteil Afghanistans fast 20 Jahre frei von der Herrschaft der Taliban war, eroberten diese erneut das gesamte Land. Der NATO-Einsatz 2001 war der Start für einen 20 Jahre andauernden Krieg. Der Abzug der Truppen im Jahr 2021 stärkte die Taliban und ermöglichte die Rückeroberung des Landes. Für viele Menschen in Afghanistan hat das weitreichende Konsequenzen: Aufgrund der Absage internationaler Unterstützung wurden Konten eingefroren, viele haben ihre Jobs verloren, Frauen dürfen viele Jobs nicht mehr ausüben. Das führt dazu, dass Armut sich im ganzen Land ausbreitet. Die Taliban töten gezielt Zivilist*innen, queeren Menschen droht der Tod, wenn sie als queer erkannt werden und die Gruppe der Hazara wird von den Taliban als Menschen zweiter Klasse angesehen und erneut massiv unterdrückt und verfolgt.
Lebensrealität von Mädchen und Frauen in Afghanistan
Vor allem Mädchen und Frauen leiden unter der erneuten Herrschaft der Taliban. In den letzten 20 Jahren hatten diese viele Rechte erkämpft. Mädchen konnten zur Schule gehen, studieren, wählen und vielfältige Jobs übernehmen. Außerdem wurden Gesetze verabschiedet, um die Gewalt an Frauen zu bekämpfen, Frauenhäuser aufgebaut und ein Frauenministerium eröffnet, welches sich für die Belange von Frauen stark machte.
Viele der erkämpften Rechte gehören seit der erneuten Übernahme der Taliban der Vergangenheit an. Mädchen dürfen nur noch in die Schule gehen bis sie zwölf Jahre alt sind, viele Universitäten wurden geschlossen und hauptsächlich Privatuniversitäten bieten Frauen noch die Möglichkeit zu studieren. Hier muss auf Anweisung der Taliban jedoch strikt auf die Trennung der Geschlechter geachtet werden, da den Mädchen und Frauen nur die Inhalte des Korans vermittelt werden sollen. Andere Fächer sind für Frauen verboten. Alle Frauenhäuser und das Frauenministerium wurden von den Taliban geschlossen. Anstelle des Frauenministeriums wurde das „Ministerium für Gebet und Führung und die Förderung von Tugenden und Verhinderung von Lastern“ gegründet, welches während des ersten Talibanregimes in den 1990er Jahren bereits existierte und für viele Folterungen und Auspeitschungen von Frauen verantwortlich war. Zum Verbot für Mädchen in die weiterführende Schule zu gehen, kommt die Tatsache hinzu, dass auch Lehrerinnen momentan nicht bezahlt werden und deswegen viele Schulen unterbesetzt sind oder geschlossen werden. Die Drohungen der Taliban haben außerdem zur Folge, dass viele Familien sich nicht trauen, ihre Töchter überhaupt in die Schule zu schicken. Bildungschancen für Mädchen und Frauen sind kaum noch vorhanden.
Doch viele Frauen fürchten nicht nur um ihre erkämpften Rechte, sondern auch um ihr Leben. Die Tatsache, dass die Taliban viele Gefängnisinsassen frei gelassen haben, macht es für die Juristinnen, Richterinnen und Anwältinnen, die eben diese ins Gefängnis gebracht haben, momentan besonders gefährlich. Viele erhalten Morddrohungen oder werden gezielt getötet. Es gibt keine sicheren Orte.
Die Taliban haben dazugelernt und Mädchen dürfen’s wieder nicht
Im Vergleich zu ihrer Herrschaft in den 90er Jahren, haben die Taliban in den letzten 20 Jahren dazugelernt. Sie wissen, welche Versprechungen sie machen müssen, um Unterstützung und Gelder von anderen Nationen zu erlangen. Sie profitieren von ihrer vermeintlich progressiveren Art zu regieren. Den Taliban wird ermöglicht, mit verschiedenen Staatsoberhäuptern zu sprechen. Dies vermittelt den Anschein, sie seien eine legitimierte, gar demokratische Regierung, mit der man sich international diplomatisch auseinandersetzen muss. Das schaffen sie, indem sie zum Beispiel vorgeben, sich diesmal den Rechten von Frauen zu widmen und sich dementsprechend gegen die Zwangsheirat von Mädchen einzusetzen. Auch das Thema Bildung von Frauen wird angesprochen, indem sie vorgeben, dass Mädchen wieder zur Schule gehen dürfen, sobald ein Konzept zum geschlechtergetrennten Unterricht entwickelt wurde. Es gibt jedoch genug Gründe anzunehmen, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden und nur Vorwand sind, um sich als Regierung zu legitimieren und international anerkannt zu werden.
Der Widerstand, der wieder stand
Wie bereits während der ersten Herrschaft der Taliban setzen sich die Frauen in Afghanistan auch in diesen Zeiten aktiv gegen die Gewaltherrschaft zur Wehr. Sie gehen weiterhin für ihre Rechte auf die Straße und riskieren ihr Leben, da die Taliban gewalttätig gegen die Demonstrantinnen vorgehen. Demonstrantinnen kämpfen für das Recht auf Bildung für Mädchen und für die Beteiligung an der Regierung, die zum jetzigen Zeitpunkt, wie leider zu erwarten war, nur aus Männern besteht. Obwohl viele Demonstrantinnen verhaftet, entführt, gefoltert oder sogar hingerichtet werden, gehen sie weiterhin mutig auf die Straße.
Den Gesetzen der Taliban, welche die Bildung der Mädchen einschränken, stellen sich Lehrerinnen in Afghanistan entgegen, indem sie heimlich und kostenlos Mädchen unterrichten, denen es verboten ist zur Schule zu gehen, da sie älter als zwölf Jahre alt sind. Organisationen wie RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan) unterrichten illegal, geben Kurse in Lesen und Schreiben und sprechen über Frauenrechte und politische Bildung.
Der Kampf der Frauen in Afghanistan gegen das Regime der Taliban und für die eigenen Rechte geht demnach sowohl öffentlich als auch im Untergrund weiter. Sie tragen ihre Forderungen weiterhin mit Dringlichkeit in die Öffentlichkeit. Die Situation von Mädchen und Frauen in Afghanistan darf nicht aus dem öffentlichen Diskurs und den Medien verschwinden und die Taliban dürfen nicht als Regierung anerkannt werden!
„Wir erwarten und bitten die Weltbürger, das gepeinigte Volk Afghanistans nicht zu vergessen und unserer Not im Ausland eine Stimme zu geben. Wir bitten diese Weltbürger, alle Antikriegskräfte, alle gerechtigkeitsliebenden Kräfte, alle fortschrittlichen Bewegungen, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, damit sie sich nicht mehr in Afghanistan einmischen. Sie sollen die Dschihadisten, Taliban und andere reaktionäre Kräfte nicht mehr unterstützen und vor allem die Taliban nicht als afghanische Regierung anerkennen.“
– Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, 2021
Für uns als Falken
Wir als bildungspolitischer und sozialistischer Kinder- und Jugendverband wissen, wie essentiell der Zugang zu Bildung ist und dass die Koedukation von Jungen und Mädchen wichtig ist, damit Mädchen und Frauen die Möglichkeit haben, gleichberechtigt an der Gesellschaft partizipieren zu können. Die strikte Geschlechtertrennung während des Unterrichts und der Ausschluss vom Unterricht aller Mädchen über zwölf Jahre, welche die Taliban vorschreiben, schränken eben diesen essentiellen Zugang zu Bildung ein und verwehren den Mädchen und Frauen in Afghanistan jede Möglichkeit, ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben zu führen. Wir müssen uns solidarisch zeigen mit den Mädchen und Frauen in Afghanistan. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Situation in Afghanistan nicht in Vergessenheit gerät und die Bundesregierung die Taliban nicht als Regierung anerkennt. Außerdem müssen wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass Afghanistan nicht mehr als sicheres Herkunftsland gilt und sichere Fluchtrouten eingerichtet werden, denn eins ist klar: Afghanistan ist nicht sicher!
Von der Mädchen- und Frauenpolitischen Kommission (MFPK): Micki Börchers (LV Schleswig-Holstein), Charlotte Schwab (Bezirk Niederrhein) und Charlotte Bremer (Bezirk Westliches Westfalen)