Ein Treppenwitz der Geschichte? – Aus „andere jugend“ wird wieder die „Arbeiter*innenjugend“

Bild: Lena Schliemann

Vielleicht habt ihr es schon mitbekommen: Die Bundeskonferenz hat beschlossen, die aj umzubenennen. Nachdem die Zeitung seit 30 Jahren “die andere jugend” hieß, heißt sie nun “Arbeiter*innenjugend” und ist damit ihrem ursprünglichen Namen “Arbeiterjugend” wieder deutlich näher. Doch warum wurde die Zeitung damals umbenannt und woher kommt die Entscheidung, dies nun wieder zu ändern? Dazu haben wir mit Genoss*innen gesprochen, die 1991 mitentschieden haben und auch einen Blick in die erste “andere jugend” geworfen – und können euch wärmstens empfehlen, es uns gleichzutun.

1991: Ist “Arbeiterjugend” noch zeitgemäß?

Unter dem Eindruck der Auflösung des Staatssozialismus (wir berichteten) in Osteuropa und dem Beitritt der DDR zur BRD stellte sich der Bundesvorstand in der Nachwendezeit die Frage, welche Jugendlichen man noch mit einer Zeitung erreicht, die “Arbeiterjugend” heißt. Im Editorial der Ausgabe 1/1991 wird darauf verwiesen, dass sich der Kapitalismus seit 1904 verändert habe und auch für eine sozialistische Jugendorganisation die Zielgruppe nicht mehr klar als arbeitende Jugend zu definieren wäre. Genoss*innen, die damals aktiv den Verband gestalteten, erinnern sich:

“Der Begriff war kein Zeitschriftentitel mehr, von dem sich Jugendliche angesprochen fühlen und sie identifizierten sich nicht mehr mit der Bezeichnung ‘Arbeiterjugend’, so war damals die politische Auffassung und Mehrheitsentscheidung.”

In Redaktion und Bundesvorstand wurde man sich daher einig, dass der Name geändert werden müsse. Man versuchte dabei eine Lösung zu finden, bei der man das im Verband bekannte und bis heute verwendete Kürzel aj beibehalten konnte. Daraus entstand dann die Idee, die Zeitung “Die Andere Jugendzeitschrift” zu nennen. 

Die Entscheidung wurde dann mit der Ausgabe 1/1991 umgesetzt und mit einem neuen Konzept verknüpft, das “zeit- und jugendgemäßer” sein sollte. Etwas verkürzt könnte man die Zeitung damals als eine Art Bravo von links beschreiben: Neben einer mehrteiligen, packenden Foto-Love-Story (bei der die Protagonistin natürlich regelmäßig zur Falken-Frauen-Gruppe geht), gab es auch eine Computerecke und eine “Sex Sex Sex”-Seite, auf der etwa über weibliche Selbstbefriedigung geschrieben wurde. Gleichzeitig versprach das Editorial, dass diese Veränderung „nichts mit Entpolitisierung oder Anpassung an diffusen Zeitgeist“ zu tun habe.

Die Veränderung des Konzepts und auch die Umbenennung stießen damals auf ein geteiltes Echo im Verband. In der folgenden Ausgabe wurden einige Briefe von Leser*innen veröffentlicht. Der Genosse Hannes aus Wuppertal kritisierte die Entscheidung folgendermaßen: 

„Ich bin nicht der Meinung, daß man den Namen unserer Zeitung verändern muß, um Jugendliche von der Richtigkeit sozialistischer Utopie zu überzeugen. Denn Arbeiterjugendliche sind wir alle, auch wenn es heute schwieriger geworden ist, Jugendliche davon zu überzeugen.“

Der Genosse Thomas aus Zwickau begrüßte die Entscheidung hingegen, da die Zeitung mit dem neuen Namen deutlich besser unter den Jugendlichen zu verteilen war, „eine ‚Arbeiterjugend‘ würde [ihm] niemand abnehmen“.

Bild: Lena Schliemann

In der Zwischenzeit: Wofür steht das a in aj?

In den letzten 30 Jahren hat sich die aj immer wieder verändert. So hat sich die Anzahl an Zeitungen pro Jahr auf inzwischen drei Ausgaben reduziert und seit 2009 erscheint sie nicht mehr als gebundenes Magazin auf Glanzpapier, sondern im euch bekannten Zeitungsformat. Auch diese Formatänderung sollte mit einer inhaltlichen Neuorientierung einhergehen, wie die damalige Redaktion im Editorial erläuterte: “Wir wollen stärker aktuelle Themen und Fragestellungen behandeln, die junge Menschen, SchülerInnen und Azubis bewegen.”

Das Layout mit seinem markanten, von der Redaktion liebevoll Fuchsschwanz genannten Seitenkopf, begleitete die aj dann bis 2017, als die aj ihr heutiges Layout bekam. Bereits 2011 hatten wir damit begonnen mit dem “a” im Namen zu experimentieren – vielleicht ein erstes Zeichen dafür, dass “andere jugend” als Name unbefriedigend ist. So gab es im Laufe der Jahre die antikapitalistische, amouröse, athletische und natürlich auch die antifaschistische Jugend im Titel der Zeitung. 

Auf jeden Fall wurde in der Redaktion, im Bundes-SJ-Ring und im Bundesvorstand immer wieder über die Ausrichtung der aj und die Definition ihrer Zielgruppe diskutiert. Wenn ihr die Zeitung schon länger lest, ist euch vielleicht auch aufgefallen, dass sich die Art der Artikel, der Umfang der gewählten Schwerpunkte und auch die ganze Ansprache immer wieder gewandelt hat – und das ist bei einer Zeitung eines Jugendverbandes auch gut so. Die Frage, wie die Zeitung heißen soll, ist insbesondere in den letzten beiden Jahren immer wieder in informellen Runden aufgetaucht.

2021: Wir sind die “Arbeiter*innenjugend”!

Die Bundeskonferenz in Essen (und im Internet) war insbesondere durch den vom Leitantrag des Bundesvorstands gesetzten Fokus auf das Thema Klasse geprägt. Dabei gab es insbesondere darüber eine kontroverse Debatte, ob sich der Verband als Selbstorganisation von Arbeiter*innenkindern und -jugendlichen versteht und ob dies die Realität des Verbandes und seiner Funktionär*innen widerspiegele. Dabei wurden  sowohl sehr unterschiedliche Realitäten in den Gliederungen deutlich als auch unterschiedliche Verständnisse des Begriffs “Arbeiter*in”. Am Ende setzte sich die Position durch, die “Arbeiter*in” nicht anhand von formaler Bildung oder dem Beschäftigungsfeld definiert, sondern anhand der Frage, ob man lohnabhängig ist oder über Produktionsmittel verfügt.

Gewissermaßen im Fahrwasser dieser Debatten wurde dann aus Hamburg ein Änderungsantrag an den Antrag zur aj gestellt, der die Umbenennung in “Arbeiter*innenjugend” forderte. Nach einer Debatte, die in ihren Grundzügen auch den Reaktionen 30 Jahre zuvor glich, entschied sich die Bundeskonferenz schließlich zur Beinahe-Rückkehr der Zeitung zu ihrem alten Namen. Manchmal weht der Wind der Geschichte halt etwas schneller als man denkt.

Die Veränderung wird mit dieser Ausgabe wirksam, auch unser Blog wird auf eine neue Domain umziehen: www.arbeiterinnenjugend.de. Wir sind gespannt, ob und wie der neue Name den Charakter unserer Zeitung in den nächsten Jahren verändern wird und wie künftige Generationen unseres Verbandes über diese Entscheidung denken werden. Es wird mit Sicherheit nicht die letzte Veränderung gewesen sein.

Steffen Göths

für die aj-Redaktion

PS: Ein Treppenwitz der Geschichte wird es übrigens dann, wenn die BuKo in 30 Jahren beschließen sollte, dass “andere jugend” als Name doch ganz gut war.