Rezension „Beziehungsweise Revolution“

Der Titel ist schon einmal vielversprechend: Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und folgende. Wer kennt nicht die romantische Träumerei: Man ist Revolutionär*in, der*die Partner*in auch und im Tumult der revolutionären Unruhen weiß man um die gegenseitige Verbundenheit, wirft sich inmitten der Menge kurze intime Blicke zu und für einen Moment hört man das Getöse um sich herum nicht mehr – und nur einen Augenblick später schwillt es wieder an und man wird wieder Teil der revolutionären Menge.

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Hilfe, meine Beziehungen sind verdinglicht

Viele Menschen fühlen sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen überrannt und so, als könnten sie gar nichts dagegen tun. So scheint beispielsweise der Klimawandel allem Aktivismus zum Trotz unaufhaltsam: weil Kohle und Erdöl so billig sind, hat jedes Land und jedes Unternehmen einen Nachteil, wenn es selbst darauf verzichtet, aber die anderen nicht. Die Rente scheint perspektivisch ohnehin verloren, denn wer soll die finanzieren? Und Privatsphäre in der digitalen Welt wird wohl weitgehend eine Illusion bleiben, solange man mit personalisierter Werbung so viel Geld verdienen kann. Armut und Arbeitslosigkeit sind in dieser Gesellschaft auch nicht zu vermeiden und der Faschismus verschwindet auch nie wirklich. Kurz: es scheint, als hätte diese Gesellschaft ein Eigenleben, dem weder Politik, Gewerkschaften noch irgendjemand anderes etwas entgegensetzen können. Was bleibt da anderes übrig, als wie ein Surfer auf der Welle der ohnehin stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu reiten, anstatt sich gegen das aufzulehnen, was scheinbar so oder so kommen wird?

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Eine Stunde Zuhören? Macht 50 € – Warum uns der Begriff der emotionalen Arbeit nicht weiterbringt

Schon länger höre ich den Begriff ‚Emotionale Arbeit‘ oder Abwandlungen davon von Genossinnen und Freundinnen. Sie verwenden ihn beispielsweise, um Aufgaben zu beschreiben, die sie unausgesprochen in Gruppensituationen übernehmen oder um zu erklären, warum sie ihr Privatleben als auslaugend empfinden. In den USA kursiert der Begriff ‚emotional labor‘ schon länger in Artikeln, Blogeinträgen und Kommentarspalten. Dort wird er verwendet, um eine recht weite Bandbreite an Aufgaben zu beschreiben, die Frauen übernehmen: Rat geben, Trost spenden, zuhören, Andere umsorgen und ihnen Aufmerksamkeit schenken, aber auch Geburtstage im Kopf haben, Putzkräfte auswählen und einstellen oder das Haustier einschläfern lassen. Auch Sex wird in einigen Kommentarspalten unter Emotionale Arbeit gefasst. Die Autorinnen problematisieren, dass Frauen die oben genannte Dinge – in den aufgeführten Beispielen nahezu ausschließlich für Männer – tun, ohne dafür wertgeschätzt zu werden oder Vergleichbares zurückzubekommen. Der Begriff ‚emotional labor‘ soll zunächst dazu dienen, dies wahrnehmbar und verhandelbar zu machen. Einige Autorinnen stellen die zugespitzte Forderung nach Bezahlung für Emotionale Arbeit. Ein Beispiel von der feministischen Webseite ‘The Toast’: „Es mag kontraintuitiv sein, aber es lohnt sich, Emotionale Arbeit als Dienstleistung zu betrachten – eine, die in Reaktion auf konstante Nachfrage angeboten wird. Was auch immer du vom Kapitalismus hältst, wir baden darin, und nach seinen eigenen Regeln sollten wir für eine Arbeit, die stark nachgefragt ist, vergütet werden.“

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Von Kindern und Kadern

(Bild: Mona Schäfer)

„Naja, Leo mal ganz ehrlich: linker Kader sein und Kinder haben, das schließt sich einfach aus. Außer vielleicht die Falken machen bei jedem Treffen Kinderbetreuung.“ 

Dieser Satz fiel beim Cornern mit Nicht-Falken-Genossen*innen. Zunächst irritierte er mich, aber natürlich hatte ich nicht die schlagfertige Antwort parat, die ich ihm gerne entgegengebracht hätte. Dennoch regte er mich nachhaltig zum Nachdenken an. Wie strukturieren wir eigentlich unsere politischen und privaten Räume? Welche Bedeutung haben Kinder in unserer Gesellschaft? 

Als Materialist*in schaut mensch sich in diesem Fall natürlich die materiellen Bedingungen an, unter denen Menschen versuchen, ein politisches Familiendasein zu führen. Hierbei kann der neoliberale Umbau von (Sozial-)Staat und Ökonomie nicht umschifft werden. Bezeichnend für ihn ist unter anderem die Ablehnung kollektivistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Auch wenn in die Verbreitung der neoliberalen Ideologieströmungen viel Arbeit gesteckt wurde und wird, sind es meines Erachtens vor allem die realen Konsequenzen neoliberaler Politik und Marktwirtschaft, die einen erheblichen Einfluss auf das (Sozial-) Leben der Menschen haben.

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Genoss*innen! – Eine besondere Beziehungsweise

„We’ve learned the world’s divided
and we have made a choice“

No going back – Lied der Bergarbeiterfrauen

Bei den Falken bezeichnen wir einander in der Regel als Genoss*innen und meinen damit eine besondere Weise, sich aufeinander zu beziehen. Genoss*innen, das sind diejenigen, die im politischen Kampf auf derselben Seite stehen. Die Kommunistin und Politikwissenschaftlerin Jodi Dean schreibt in ihrem Buch “Genossen!”: „(…) ich begreife den Genossen als Chiffre für das politische Verhältnis von Menschen auf derselben Seite einer politischen Barrikade. (…) Wenn wir siegen wollen, und wir müssen siegen, müssen wir zusammen handeln.

We’ve learned the world’s divided

Diese Definition der Genoss*innenschaft hat eine ganz und gar nicht selbstverständliche Voraussetzung: Das Verständnis von Gesellschaft als Resultat von Konflikten zwischen konkreten Akteur*innen. Akteur*innen, also auch wir als Verband, verfolgen Interessen, entwickeln Strategien, um sie durchzusetzen, schließen Bündnisse, versuchen Diskurse zu lenken und Menschen für ihr Projekt zu gewinnen, kurz: Man tut, was nötig ist, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Im Grunde ist diese Aussage banal. Sie sagt nichts anderes, als dass es Politik gibt. Aber gerade das ist nach Jahrzehnten der neoliberalen Zurichtung absolut keine Selbstverständlichkeit mehr. Neoliberalismus heißt Politikverdrängung. Jodi Dean beschreibt die Entpolitisierung des gesellschaftlichen Lebens als ein Auseinanderfallen in zwei Pole: auf sich selbst zurückgeworfene Individuen auf der einen und unpersönliche, entfernte Systeme, die unveränderbar erscheinen, auf der anderen Seite. In ihren eigenen Worten: „Wir haben verantwortliche Individuen, die verantwortlich gemacht und als Zentren autonomer Entscheidung dargestellt werden; und wir haben Individuen, die mit ausweglosen Situationen konfrontiert sind, auf die sie keinerlei Einfluss haben.“

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Ausgabe 3/2021: Beziehungsweisen

Liebe Leser*innen,

als Menschen stehen wir zueinander in Beziehung – in welcher Form auch immer. Der Kapitalismus prägt die Art und die Form des Zusammenseins und wirkt bis in die privatesten Bereiche unseres Lebens. Häufig begegnen wir uns unbewusst schon mit dem Gedanken: Was bringt dieser Kontakt mir gerade? Das macht natürlich etwas damit, wie wir zu anderen Menschen stehen und wie wir Freundschaften und Beziehungen führen. Gerade während Corona denken wir nochmal anders darüber nach, wie und mit wem und wie oft wir in Kontakt zu anderen Menschen treten. Für viele bedeutete das auch, eine “Bilanz” über die eigenen Beziehungen zu ziehen.

Können wir als Genoss*innen da raus und anders miteinander umgehen? Was passiert wenn Kinder dazukommen, die das Verhältnis von Politik, Privatleben und Lohnarbeit nochmal komplett durcheinanderwerfen? Und hilft der Begriff der „emotionalen Arbeit“ dabei, die Beziehungen, die wir in dieser Gesellschaft führen, zu verstehen? Mit diesen und mehr Fragen beschäftigen wir uns in der aktuellen aj 3/2021 “Beziehungsweise(n)”.

Wir wünschen euch beim Lesen eine gute Zeit und redet doch mit euren Freund*innen und Genoss*innen über diese schöne Ausgabe. 

Freundschaft!

Eure aj-Redaktion